Die Wundärztin
in Freiburg noch sagen müssen, dass sie ein Kind von ihm erwartete. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen: Rupprecht hätte sich um sie gekümmert, das Kind wäre keine Missgeburt geworden, sondern hätte überlebt, wäre ein ähnlich ansehnliches Wesen geworden wie Carlotta. Am Ende hätte Rupprecht sie vielleicht sogar seinetwegen geliebt. Und sie läge jetzt nicht mutterseelenallein in dieser Kammer, mit vorwurfsvollen Blicken bedacht, umgeben von Menschen, die alle nur darauf lauerten, dass sie endlich den letzten Atemzug tat und niemandem mehr zur Last fiel.
Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr. Sie griff nach Erics Hand, spürte die wohltuende Wärme und hielt sie fest. Erstaunlicherweise wehrte er sich nicht dagegen. Ein Schauer erfasste ihren Körper. Abwechselnd wurde ihr heiß und kalt. Sie begann zu zittern, es schüttelte sie. Wieder schob sich Nebel vor ihre Augen. Kaum konnte sie Erics Gesicht noch sehen.
»Ich habe nichts Böses gewollt«, sagte sie und räusperte sich, weil ihre Stimme belegt war. »Bestimmt lebt Magdalena noch. Irgendwo wirst du sie schon finden.«
Erschöpft drehte sie den Kopf zur Seite und schloss die Augen. Behutsam entzog Eric ihr seine Hand. Sie hörte, wie er aufstand und zum Fenster ging.
Noch einmal fuhr ein Ruck durch ihren Körper und riss sie hoch. »Eric!« Der Schrei kam wie aus einer anderen Welt. Eric fuhr herum und starrte sie an. Angst erfasste sie. Was dachte er? Warum kam er nicht zu ihr und hielt sie fest? »Lass mich nicht allein!«
»Scht! Keine Angst.« Sie spürte, wie er sie in den Arm nahm und beruhigend über ihren Kopf strich. Die Berührung tat gut. Sie war nicht allein. Eric ließ sie nicht im Stich. Wenigstens einer, der für immer und ewig bei ihr blieb. Endlich konnte sie einschlafen.
Sanft bettete er sie zurück in die Kissen und hielt ihre Hand. Sie versuchte, die Augen offen zu halten, ihn anzusehen und etwas zu sagen. Es gelang ihr nicht. Eine unendliche Schwere erfüllte sie. Der Nebel wurde dichter. Die Lider fielen ihr zu. Sie wehrte sich nicht mehr. Eric war bei ihr, als sie für immer einschlief.
[home]
Vierter Teil
Frieden
Memmingen
November 1648
Einzig die Liebe spendet Hoffnung …
1
O hne Unterlass läuteten die Glocken. An allen Türmen und Uhren Memmingens erklang das Geläut. Ungestüme Trommelwirbel schoben sich darüber, begleitet von energischen Trompetenstößen. Jubelschreie erschallten. Schier ohrenbetäubend war der Lärm, der zwischen Iller und Stadtbach bereits bei Tagesanbruch ausgebrochen war. Ganz Oberschwaben war im Freudentaumel über den Frieden von Münster, wie gewiss auch der Rest der bayerischen, gar der deutschen Lande.
Sosehr Magdalena die Freude teilte, so unwohl fühlte sie sich in diesem Augenblick. Das monatelange Warten und Nichtstun waren vorbei. Gleichzeitig wuchs die Ungewissheit, was folgen würde. Ihrem Aufbruch aus Memmingen stand nichts mehr im Wege. Endlich konnte sie gehen, wohin sie wollte. Wohin aber wollte sie?
»He, du! Was stehst da herum und bietest Maulaffen feil?« Eine Frau schubste sie ungeduldig beiseite, so dass sie gegen einen anderen stieß. Rasch entschuldigte sie sich und versuchte dennoch, ihren Standort zu behaupten. Der bescheidene Platz, den sie seit einiger Zeit dicht bei dem trutzigen Turm der Memminger Frauenkirche für sich beanspruchte, erwies sich als ungünstig. Viel zu viele Menschen schoben sich zum Kircheingang hin, als dass sie dort lange ausharren konnte. Der Frieden von Münster mochte die Gemüter erhellen. Im täglichen Umgang aber kämpfte jeder weiter für sich allein. Unerbittlich focht man die raren Plätze im Gotteshaus aus, um dem Friedensgottesdienst beizuwohnen. Am liebsten hätte Magdalena den Ort verlassen und ihr Glück anderswo gesucht, doch so einfach durfte sie nicht aufgeben: Diese Stelle hatte sie mit Rupprecht als Treffpunkt vereinbart. Gab sie ihren Platz auf, fürchtete sie, den Gefährten in dem dichten Gedränge, das seit den frühen Morgenstunden in der Stadt herrschte, nicht mehr zu finden. Schon ärgerte sie sich, sich überhaupt darauf eingelassen zu haben, Rupprecht gestern Abend noch fortzulassen. Nach dem Gottesdienst hätte ausreichend Gelegenheit bestanden, sich nach Buxheim aufzumachen. Die dort eingetroffenen Kaufleute aus Speyer weilten angeblich länger dort.
Noch wussten sie gar nicht, ob sie überhaupt Nachrichten aus dem Rheinland brachten. In den letzten beiden Jahren hatte Magdalena gelernt, die Hoffnung
Weitere Kostenlose Bücher