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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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tief in den Nacken reichende Haar taten das Ihre, ihn alt und ungepflegt wirken zu lassen. Selbst unter den Fingernägeln bildeten sich breite, schmutzige Trauerränder. Das leinene Hemd schlackerte um seine Brust, der Zustand seiner Hosen und Stiefel war nicht minder erbärmlich. Nie hätte er sich früher so gehenlassen.
    »Was war das eben für ein Schuss?«, fragte sie, als er weiter schwieg. Von neuem musste sie erst den Husten abwarten, bevor sie weitersprechen konnte. »Hast du nichts gesehen? Du hast doch vorn an der Kuppe gestanden.«
    »Hat Berta dir das erzählt?« Er wartete ihren erneuten Hustenanfall ab und sah unterdessen zwischen ihr und Berta hin und her, bevor er antwortete. »Drei Reisende sind von einem Dutzend schwedischer Soldaten in Empfang genommen worden. Sah aber ganz friedlich aus. Marodeure waren es offensichtlich keine. Die haben sich alle gekannt. Gekämpft haben sie jedenfalls nicht miteinander. Kurz sind sie abgestiegen, haben miteinander geredet, dann sind sie Richtung Rothenburg davon.«
    »Aber trotzdem wurde geschossen.«
    »Warum interessiert dich das?« Eric gab sich keine Mühe, sein Erstaunen zu verbergen. Ein bitteres Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Sonst hat es dich nie groß gekümmert, was mit den anderen ist, welches Leid ihnen geschieht, Hauptsache, du selbst machst einen guten Schnitt oder kommst heil aus einer Sache heraus.«
    »Das ist nicht wahr.« Empört ergab sie sich dem Husten. Es pfiff in ihrer Brust, als sie Luft schöpfte.
    »Und was war mit Magdalena?« Aufgebracht sprang er vom Bettrand und begann, in der engen Kammer auf und ab zu gehen. »Du hast dafür gesorgt, dass Strecker dich und Carlotta noch rechtzeitig wegbringt vom Tross. Dabei wusstest du genau, dass Seume sich dafür am Ende an Magdalena rächen würde. Aber das hat dich keinen Moment lang aufgehalten, deinen Hintern ins Trockene zu schaffen.«
    »Und dich mit dazu! Oder hast du vergessen, wer dich aus der Höhle geholt und nach Würzburg zu deinem Freund gebracht hat?« Kerzengerade saß sie auf einmal im Bett und stützte sich mit den Armen ab. Dabei musste sie weder husten noch keuchen, nicht einmal gegen Schwindel ankämpfen.
    »Hätte ich gewusst, dass Magdalena dafür den Kopf in die Schlinge stecken muss, wäre ich lieber liegen geblieben.«
    »Von Anfang an war klar, dass sie mit deiner Flucht auch ihren Kopf riskiert.« Die Aufregung ließ Elsbeths Stimme ins Schrille kippen. »Wenn du das nicht gewollt hättest, hättest du nie zulassen dürfen, dass sie dich überhaupt aus dem Lager fortgeschleppt hat.«
    »Das wollte ich doch auch gar nicht. Sie hat mich dazu überredet.« Erics Widerspruch kam leise. Fast sagte er es mehr zu sich selbst als zu ihr.
    Elsbeth schluckte schwer. Auf einmal dauerte es sie doch, zu sehen, wie sehr er litt. Hatte er in Würzburg nicht schon Ähnliches gesagt? Die Genugtuung, mit der sie ihm letztens entgegengeschleudert hatte, Magdalena sei tot, war auf einmal wie weggewischt. Stattdessen regte sich etwas wie Reue in ihr. Ein dicker Kloß bildete sich in ihrem Hals. Unfähig zu sprechen, starrte sie auf ihre abgekauten Fingernägel. Die Haut rundherum hing in Fetzen. Sie biss und zog, bis es brannte. Der Schmerz tat gut.
    »Warum bist du nicht allein mit Carlotta weg? Du wolltest unser Kind. Hat dir das nicht gereicht?« Langsam sank er abermals auf der Bettkante nieder. Seine langen, zittrigen Finger fassten ihr Kinn und zwangen sie, den Kopf zu heben, so dass er seinen müde gewordenen Blick in ihr Gesicht bohren konnte. Erneut versuchte sie, ihm auszuweichen. Eine Antwort wusste sie ohnehin nicht. Schon seit Würzburg fragte sie sich, warum sie ihn mitgenommen hatte. Ohne ihn wäre sie längst nach Köln gekommen, wäre weder krank noch ihres Geldes beraubt und läge nicht hilflos im Bett, dem Tod näher als dem Leben. Der Preis für ihre Rache an Magdalena war viel zu hoch.
    »Sag schon: Warum musstest du auch noch mich von Magdalena wegreißen?« Wieder sah er sie unerbittlich an.
    Dass er eher sein Kind als Magdalena hatte verlassen wollen! Wann hatte jemand sie so geliebt? Hatte überhaupt jemals einer sie so geliebt, wie Magdalena immerzu von allen geliebt wurde? Nicht einmal Carlotta empfand Ähnliches für sie. Wahrscheinlich hatte das Kind sie bereits vergessen. Seit Tagen schon hatte Elsbeth die Kleine nicht mehr zu Gesicht bekommen, ihr fröhliches Plappern und Lachen allerdings deutlich durch die Tür gehört. Ein dumpfes Grollen stieg

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