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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Wahrscheinlich schiebt sie die Kleine vor. Die hängt gerade wieder an ihrer Brust. Mal schauen, ob mir zu alledem nicht was Gescheites einfällt.« Sie kicherte in sich hinein, schob die Tabakdose zwischen die unzähligen Lagen ihres Rocks und watschelte aus dem Zelt.
    Rupprecht fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht und blickte dann nach draußen, als gäbe es nichts Wichtigeres, als der davonstapfenden alten Hebamme nachzuschauen. Schließlich drehte er sich um. »Komm mit!« Ohne Magdalena Gelegenheit zu geben, sich zu wehren, zog er sie vor das Zelt und von dort einige Schritt weiter ins freie Feld hinein, wo sie keiner belauschen konnte, ohne dass sie ihn rechtzeitig entdeckten. »Hast du in den letzten Tagen überhaupt jemals daran gedacht, dass da drin nicht nur dein Geliebter aus Freiburg, sondern auch ein gemeiner Mörder liegt?«
    Die Frage kam so überraschend, dass Magdalena eine Weile brauchte, bis deren Sinn zu ihr vordrang.
    »Er ist nicht mehr derselbe, den du in Freiburg geliebt hast«, setzte er nach.
    »Wir sind alle nicht mehr dieselben«, antwortete sie und wollte sich losreißen. Er hinderte sie jedoch daran.
    »Nur mit dem Unterschied, dass wir für den Schurken unser Leben aufs Spiel setzen, ohne recht zu wissen, ob er es wirklich wert ist.«
    »Dann tu es halt nicht.« Sie entriss sich seinem Griff.
    »Du weißt genau, dass ich es allein dir zuliebe doch tun werde.« Zum Zeichen der Versöhnung streckte er die Hand aus. Sie schob sie fort und eilte ohne ein weiteres Wort zu Meister Johanns Wagen.
    15
    Nachdem sie Meister Johanns Wagen aufgeräumt hatte, drängte es Magdalena, Carlotta wieder zu sich zu holen. Angesichts des Bevorstehenden wollte sie ihr Kind um sich haben. Sie wusste Rupprecht zusammen mit Meister Johann bei Eric, so dass sie guten Gewissens fortgehen konnte. Vielleicht bestand doch noch Hoffnung, Elsbeth zur Vernunft zu bringen. Zu viel hatten sie gemeinsam durchgestanden, um jetzt auf einmal wie erbitterte Feindinnen gegeneinander zu kämpfen. Doch im Zelt waren weder ihre Cousine noch ihre Tochter. Stattdessen stieß sie mit Roswitha zusammen, die zwischen den Kisten, Decken und Kissen herumfuhrwerkte.
    »Keine Sorge, die zwei tauchen schon wieder auf.« Schnaufend richtete Roswitha sich auf. »Und das mit der Tabakdose ist auch geklärt. Du kannst beruhigt zu Meister Johann gehen. Seume wird sich noch wundern, wo du steckst, wenn du nicht da bist. Das wäre viel schlimmer als alles andere.«
    »Du hast gut reden!« Ohne es zu wollen, brach Magdalena plötzlich zusammen. Die letzten Stunden waren zu viel gewesen. Schluchzend warf sie sich der alten Hebamme in die Arme und weinte, als könne sie nie wieder aufhören. Sie fühlte, wie die knöchernen Finger der Alten durch ihr Haar strichen. »Scht, scht«, murmelte Roswitha in ihrem krächzenden Tonfall und wiegte sie wie ein kleines Kind.
    »Elsbeth wird der Kleinen nichts tun«, versicherte sie Magdalena, nachdem deren Tränen versiegt waren. »Sie liebt sie wie ihr eigenes Kind.«
    »Das ist es ja! Längst hat sie vergessen, dass Carlotta mein Kind ist. Merkst du nicht, was in ihr vorgeht? Wenn die List mit der Tabakdose nicht klappt, dann wird sie sich etwas anderes ausdenken, um mich von Carlotta zu trennen. Das Kind will sie haben, das ist Sinn und Zweck ihres Tuns.«
    »Und wir werden das zu verhindern wissen. Elsbeth braucht dich viel zu sehr, um dich an Seume auszuliefern. Wer sorgt für sie, wenn nicht du? Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Seume lange an ihr als Gespielin Gefallen findet, wenn sie immerzu das Kind bei sich hat. Da wird sie sich also bald entscheiden müssen: entweder das sorgenlose Dasein mit Seume oder das Kind und du. Was glaubst du, wie schnell ihr das klar ist? Also hör auf, dir ihretwegen Gedanken zu machen. Jetzt geht es um anderes.«
    Entschlossen schob sie Magdalena aus dem Zelt und drängte sie, zu Meister Johanns Wagen zurückzukehren.
    Die Abendsonne färbte den Himmel rot. Für einen kurzen Augenblick schienen die hellen Leinwände der Zelte und Planwagen zu glühen. Einzelne Wolkenfetzen und ein entfernt rumorendes dumpfes Grollen ließen vermuten, dass endlich ein Wetterwechsel bevorstand. Schon zogen die Vögel ihre Bahnen tiefer als während der vorangegangenen Tage. Das Tschilpen der Amseln schien Unheil zu verkünden. Statt der drückenden Hitze der letzten Wochen hing eine Schwüle in der Luft, die einem den Schweiß aus den Poren trieb. Auch der Gestank der Aborte am

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