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Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe

Titel: Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgaensen - Vollstaendige Ausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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und das mit, was ein Tier des Waldes wissen sollte.
    Und es war merkwürdig, von dem Tag an, wo Karr auf den Gedankenkam, zu dem Kälbchen hineinzugehen, begann dieses zu wachsen und zu gedeihen. Als es dann erst ein wenig zu Kräften gekommen war, nahm es in wenigen Wochen ungeheuer zu, und schon nach kurzer Zeit hatte es keinen Platz mehr in dem kleinen Stand, sondern mußte in einem Gehege untergebracht werden. Und nach ein paar weiteren Monaten waren seine Beine so lang geworden, daß es mit Leichtigkeit über die Hecke hätte springen können.
    Da bekam der Waldhüter von dem Gutsbesitzer die Erlaubnis, den Platz mit einem starken hohen Zaun einzufriedigen. Hier verbrachte das Tier mehrere Jahre und wuchs allmählich zu einem großen gewaltigen Elch heran. Karr leistete ihm Gesellschaft, so oft er konnte; aber jetzt geschah dies nicht mehr aus Mitleid, sondern weil sich eine warme Freundschaft zwischen den beiden gebildet hatte. Der Elch war noch immer niedergeschlagen und schien auch träge und energielos; aber Karr verstand es, seinen Freund munter und fröhlich zu machen.
    Graufell hatte nun fünf Sommer bei dem Waldhüter verbracht; da wurde eines Tages von einem Zoologischen Garten im Ausland an den gnädigen Herrn die Anfrage gerichtet, ob er den Elch vielleicht verkaufen würde. Ja, das wollte der gnädige Herr gern. Dem Waldhüter tat es sehr leid; aber es hätte ja nichts genützt, wenn er sich gesträubt hätte, und so wurde denn der Verkauf des Tieres endgültig beschlossen. Karr erfuhr bald, was bevorstand, und lief mit der Nachricht eilends zu seinem Freunde hinaus. Der Hund war unglückselig, daß er Graufell verlieren sollte; aber der Elch nahm die Sache ganz ruhig auf und schien weder betrübt noch erfreut darüber zu sein.
    „Willst du dich denn so ohne allen Widerstand fortschicken lassen?“ fragte Karr.
    „Was könnte es nützen, wenn ich mich auch wehren würde?“ erwiderte Graufell. „Ich bliebe freilich am liebsten da, wo ich bin, aber wenn man mich verkauft, muß ich eben fort von hier.“
    Karr stand vor Graufell und betrachtete ihn mit prüfenden Blicken. Man konnte gut sehen, daß der Elch noch nicht ganz ausgewachsen war. Seine Schaufeln waren noch nicht so breit und sein Höcker nicht so hoch und seine Mähne nicht so wild, wie die der ausgewachsene Elche, aber um sich seine Freiheit zu erkämpfen, dazu wäre er doch stark genug gewesen.
    „Man merkt wohl, daß er sein Leben lang in der Gefangenschaft gewesen ist,“ dachte Karr; aber er sagte nichts.
    Erst nach Mitternacht kehrte der Hund in das Gehege zurück; er wußte, da hatte der Elch ausgeschlafen und war bei seiner ersten Mahlzeit.
    „Es ist gewiß recht vernünftig von dir, daß du dich so ruhig in dein Schicksal findest, Graufell,“ sagte Karr, der jetzt ganz beruhigt und vergnügt zu sein schien. „Du wirst in einem großen Garten eingesperrt werden und da ein sorgenfreies Leben haben. Aber weißt du, es wäre doch recht schade, wenn du von hier fortkämest, ohne vorher den Wald gesehen zu haben. Du weißt, deine Stammesgenossen haben den Wahlspruch: ‚Der Elch ist eins mit dem Walde‘, und du bist noch nicht einmal in einem Walde gewesen.“

    Graufell hob den Kopf von dem Klee, an dem er eben kaute. „Ich möchte den Wald wohl gern sehen, aber wie soll ich über den Zaun kommen?“ sagte er mit seiner gewöhnlichen Trägheit.
    „Nein, das ist wohl ganz unmöglich für einen, der so kurze Beine hat,“ sagte Karr.
    Der Elch schielte zu Karr hinüber, der trotz seiner Kleinheit jeden Tag mehrere Male über den Zaun sprang. Er trat an den Zaun, machte einen Sprung – und war im Freien, beinahe ohne daß er wußte, wie es zugegangen war.
    Nun wanderten die beiden in den Wald hinein. Es war eine wunderschöne mondhelle Sommernacht; aber drinnen unter den Bäumen war es dunkel, und der Elch ging mit vorsichtigen Schritten vorwärts.
    „Es wäre vielleicht am besten, wenn wir umkehrten,“ sagte Karr. „Du bist ja noch nie in solch einem wilden Walde gegangen und könntest dir leicht ein Bein brechen.“
    Da begann Graufell plötzlich rascher und kecker vorwärts zu gehen.
    Karr führte den Elch in den Teil des Waldes, wo mächtige Tannen wuchsen, die so dicht standen, daß nie ein Windhauch hindurchdrang. „Hier pflegen deine Stammesgenossen vor Sturm und Kälte Schutz zu suchen,“ sagte Karr. „Und sie stehen hier den ganzen Winter hindurch unter freiem Himmel. Aber du bekommst es ja dort, wo du hinkommst,

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