Die wunderbare Welt der Rosie Duncan
fort: »Sie ist wirklich total cool. Mack meint, mit der passenden Einrichtung ließe sich richtig was draus machen.«
»Mack? Ah, der Typ aus deiner Theatergruppe … Sorry, Marnie. Ich habe total vergessen, dich danach zu fragen.«
»Schon okay. Ich habe es so gemacht, wie du mir geraten hast, und ihn gefragt, ob wir mal was trinken gehen wollen.
Und es war … gut . Wir haben den ganzen Abend über alles Mögliche geredet. Er ist wirklich ein toller Typ.«
Irgendwie klang das nach einem großen Aber. »Aber?«
»Er ist schwul. Aber so was von.«
»Oh nein«, seufzte ich voller Mitgefühl.
»Nein, so schlimm ist es eigentlich gar nicht, denn du hattest Recht – immerhin habe ich jetzt einen wirklich netten neuen Freund gewonnen. Und weißt du was? Er hat ein absolutes Händchen für Inneneinrichtung. Er hat mir angeboten, mich bei meiner Wohnung zu beraten. Am Samstag gehen wir shoppen.« Sie kicherte und wandte sich vergnügt dem nächsten Kunden zu.
Ich schüttelte den Kopf und musste doch lächeln. In meinem Leben ging gerade so viel drunter und drüber, dass es beruhigend war zu wissen, dass manches sich niemals ändern würde – wie beispielsweise Marnies turbulentes Liebesleben.
Mein Handy klingelte. Ich zog es aus der Hosentasche und runzelte die Stirn. Die Nummer kannte ich nicht. »Rosie Duncan, hallo.«
»Ja, hallo, Rosie Duncan«, erwiderte eine Stimme, die mir eisige Schauder über den Rücken jagte. »Hier ist David.«
Auf einmal fiel mir das Atmen schwer. »Ja … hallo.«
Es folgte eine kurze Pause, dann lachte er. »Ja, hallo. Ich muss mit dir reden, Rosie – also wegen dem Auftrag, über den wir gesprochen hatten. Meine Verlobte hatte da noch ein paar neue Einfälle für die Dekorationen, du weißt ja, wie das immer so geht …« Wieder eine Pause. Ich wappnete mich schon mal für eine weitere Welle des Schmerzes, die auch prompt über mir zusammenschlug. »Ähm, ja … könnten wir … uns heute Abend treffen? Vielleicht eine Kleinigkeit essen … Wie wäre es um sieben im Rochelle’s?«
Mir wurde so schwindelig, dass ich mich an den Ladentisch lehnen musste, doch ich versuchte ruhig und gefasst zu klingen. »Das halte ich für keine gute Idee.«
Für den Bruchteil einer Sekunde meinte ich einen flehenden Unterton in seiner Stimme zu hören. » Bitte , Rosie. Es gibt ein paar Dinge, die ich … die ich mit dir besprechen möchte.«
Auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, aber er hatte natürlich Recht. Es gab ein paar Dinge, die wir besprechen mussten. Und je eher ich es hinter mich brachte, desto besser. »Gut. Dann um sieben im Rochelle’s.« Ich drückte das Gespräch weg, ehe er etwas erwidern konnte.
»Alles in Ordnung?« Marnie kam hinter den Ladentisch gehuscht und schaute mich besorgt an.
Ich rang mir ein Lächeln ab. »Ja, alles in Ordnung.«
Einmal, als ich ungefähr vierzehn Jahre alt war, bin ich einem echten Entdecker begegnet. Er war kürzlich erst von einer erfolgreichen Expedition an den Nordpol zurückgekehrt, und meine Schule hatte ihn eingeladen, uns von seinen Erlebnissen zu berichten. Er brachte Dias von endlos weiten Schneefeldern und Eisbären mit, von Polarforschern, die sich gegen die Kälte in leuchtend orangefarbene Schneeanzüge eingemummelt hatten, und Nachtaufnahmen, die eine nur von Polarlichtern erhellte weiße Wüste zeigten.
Unter anderem wurde er gefragt, warum er ausgerechnet Polarforscher geworden war. Seine Antwort war überraschend. »Ich war ein ängstliches Kind«, sagte er. »Meine Mutter hatte große Angst vor Spinnen, und ihre Angst hat sich auf mich übertragen. Meine Großmutter hat sich bei Gewitter immer unter der Treppe verkrochen. Ich machte es ihr nach und begann mich auch vor Gewittern zu fürchten.
Irgendwann hatte ich dann vor allem Angst, was neu und anders war, als ich es kannte. Ich fürchtete mich vor allem, was ich nicht verstand. Und dann fing ich an, mich für Naturwissenschaften zu interessieren – vor allem für Biologie und Meteorologie. Während ich mich auf diese Weise den Dingen näherte, die mir Angst machten, begriff ich auf einmal, was ich mir alles entgehen ließ – die Wunder dieser Welt, die mannigfaltige Schönheit der Natur. Vielleicht bin ich ja Entdecker geworden, um Verpasstes nachzuholen. Alles, wovor ich mich früher gefürchtet hatte, wurde nun erst recht zum Gegenstand meiner Forschungen.«
Wahrscheinlich machte ich es jetzt gerade genauso.
Ich stand an der West 70th Street und
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