Die wunderbare Welt der Rosie Duncan
meinem Bruder – er stellt keine unangenehmen Fragen. Auch jetzt gab er sich mit meiner Antwort zufrieden und fuhr ohne Umschweife fort: »Ich hatte einen richtig tollen Tag heute …«
»Ach ja?«
»Oh ja. Erst total touristisches Sightseeing – du weißt schon: Empire State Building, Freiheitsstatue, Macy’s –, und danach habe ich mich mit einem alten Freund aus Oxford getroffen.«
»Mit wem?«
»Erinnerst du dich noch an Hugh Jefferson-Jones?« Und wie. Meine Freundinnen und ich haben ihn immer Huge Jefferson-Jones genannt, weil er so groß und imposant war und sein bloßer Anblick einen ziemlich nachhaltigen
Eindruck auf unsere empfänglichen Gemüter machte. Und wir waren nicht die Einzigen, die ihn so nannten: Es hieß, dass auch etliche seiner Kommilitoninnen – und sogar zwei Dozentinnen! – ihn »riesig« fanden, wenngleich aus völlig anderem Grund … An den Wochenenden war Huge oft bei uns zu Besuch, um mit James zum Segeln oder Bergsteigen zu gehen. Ich war damals sechzehn, und alle meine Freundinnen waren scharf auf ihn. Huge war der geborene Herzensbrecher, jemand, der von Natur aus einfach umwerfend war. Das wusste er allerdings auch – schon mit neunzehn. Mit seinen ein Meter vierundneunzig überragte er sogar noch meinen Bruder (sehr zu James’ Verdruss) und hatte einen gestählten Körper, wie ich ihn bis dahin nur in Actionfilmen gesehen hatte. Er war der Captain des Ruderteams und der Star der Theatergruppe, ein richtiger Allround-Held. Seine Familie war zudem steinreich, er sprach perfektes Queen’s English mit so tiefer, samtener Stimme, dass mir ganz flau im Bauch wurde. Kurzum: Ich war total in ihn verknallt, aber da mein Vorsatz, niemals nie zu heiraten, damals noch ungebrochen war, beschränkte ich mich aufs Anschauen.
»Wie geht es ihm?«, fragte ich.
James lächelte. »Ganz der Alte. Immer noch sehr gefragt bei den Frauen. Und immer noch durch und durch ein Schnösel. Er arbeitet jetzt beim britischen Generalkonsulat und geht bei den Vereinten Nationen ein und aus.«
Bei der Vorstellung, dass es jetzt praktisch sein Job war, Damen von Welt mit seinem Charme zu betören, musste ich grinsen. »Ich könnte mir vorstellen, dass er der geborene Diplomat ist. Gut reden konnte er schon immer.«
»Nicht nur reden«, lachte James und ließ die Eiswürfel in seinem Glas klirren. »Er hat übrigens nach dir gefragt.«
»Hat er? Was hat er gesagt?«
»›Wie geht es dem süßen kleinen Pummelchen?‹, hat er gesagt.« James lachte, als er meine Miene sah. »Er konnte kaum glauben, dass du jetzt auch hier lebst. Ich habe ihm gesagt, er soll sich am Samstag die New York Times holen und sich selbst davon überzeugen, wie sehr du dich verändert hast. Deine Karte habe ich ihm auch gegeben und gemeint, dass du Devereau Design zwar nicht das Wasser reichen könntest, aber dass er gut daran täte, seine ehemaligen Landsleute zu unterstützen.«
»Danke, James.«
»Gern geschehen.« Sarkasmus hat mein großer Bruder noch nie kapiert. »Also wir waren zum Lunch, und dann hat er mir das Konsulatsgebäude gezeigt. Er hat sich übrigens gerade von seiner zweiten Frau getrennt.«
»Seiner zweiten ? Ich wusste nicht mal, dass er überhaupt verheiratet war.«
»Natürlich war er das – hast du damals auf dem Mond gelebt, Rosie? Das musst du doch mitbekommen haben, oder? Die erste hatte er noch auf der Uni kennengelernt, gleich nach dem Abschluss geheiratet und sich nach anderthalb Jahren wieder scheiden lassen. Dann hat er die Stelle am Konsulat bekommen, wo er sich mit einer Praktikantin aus der Stadtverwaltung eingelassen und sie schließlich geheiratet hat. Das ging immerhin sechs Jahre. Sie hat ihn vor ein paar Monaten für einen seiner Kollegen verlassen.«
»Schön blöd, überhaupt zu heiraten«, meinte ich. Und komisch, aber ich hätte schwören können, dass James kurz zusammenzuckte. Ich sagte nichts, beobachtete ihn aber ganz genau, als er schneller zum nächsten Thema sprang als Celia in Bestform.
»Ah … prächtig . Unser Essen kommt, wurde auch Zeit. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich sterbe vor Hunger …«
Zu Hause fand ich eine Nachricht von Celia auf dem Anrufbeantworter, und während James Tee machte, rief ich sie kurz zurück.
»Rosie, Darling , ich habe eben die Fahnen für dein Feature am Samstag bekommen. Es ist wunderbar , du wirst begeistert sein, Honey! Morgen bin ich mit Henrik im The Aviary zum Lunch verabredet – vielleicht können wir uns ja
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