Die Wunderheilerin
sehen, dich spüren. Immer. Nicht nur dreimal im Jahr. Mein Kopf sagt mir, dass es so, wie es ist, richtig ist und etwas anderes nicht möglich ist. Mein Kopf erzählt mir etwas von meinen Pflichten. Aber mein Herz, Aron, möchte zu dir. Möchte immer nur bei dir sein. Am liebsten würde ich mir dieses Herz aus der Brust reißen und in deine Hände legen.»
Aron schwieg, drückte sie an sich, küsste ihr Haar, hielt sie ganz fest.
Dann, der Abend hatte sich schon über die Dächer gelegt, sagte er: «Auch ich möchte immer nur bei dir sein. Bei dir und Nora, die doch meine Tochter ist. Und Gott alleinweiß, wie oft ich mich schon gefragt habe, was ich mit dem Leben des Arztes Dr. Adam Kopper zu tun habe. Warum ich wegen ihm auf dich verzichten muss. Ich habe keine Antwort auf diese Frage gefunden. Ja, ich weiß, es geht um Verantwortung, um Treue und um all die anderen Tugenden. Was aber ist eine Tugend wert, die einen anderen unglücklich sein lässt?»
Priska hörte, dass seine Stimme zitterte. Sie lagen beieinander, hielten sich fest, hatten sich und hatten sich doch nicht.
Es war das erste Mal, dass Priska die ganze Nacht bei Aron blieb. Sie dachte nicht an Adam, nicht an Eva, nicht daran, was die Leute sagen könnten. Nur Aron war wichtig in dieser Nacht.
Doch am nächsten Morgen, als die Sonne durch das schmale Herbergsfenster auf das zerwühlte Bett fiel und die Geräusche der erwachenden Stadt in das Zimmer drangen, da waren die Gedanken und Gefühle der Nacht zusammen mit dem Mond untergegangen.
«Ich muss gehen», sagte Priska und hatte es plötzlich eilig. Sie dachte daran, dass Wasser geholt werden musste, denn noch immer hatten sie keine neue Magd. Nora würde schon aufgewacht sein und sich fragen, wo ihre Mutter war.
Rasch zog sie sich das Kleid an, nahm die Haube zur Hand. Sie kam sich lächerlich vor. Sie war eine erwachsene Frau, die über ihre Blütenträume längst hinausgewachsen sein sollte. Sie hatte eine Familie, eine Aufgabe, ein Haus, hatte Mann und Kind, hatte Freunde und Verwandte.
Sie hob die Haube und brachte es nicht fertig, das Zeichen ihres Familienstandes auf das Haar zu bringen. Hilflos betrachtete sie das Stoffgebilde, dann sah sie zu Aron.
«Ich kann sie nicht tragen. Ich gehöre einem Mann an, aber dieser Mann ist nicht der, mit dem ich lebe. In dieser Nacht bin ich nicht zu Hause gewesen. Die Haube, sie brennt mir jeden Tag mehr auf dem Kopf. Ich kann es nicht mehr verschweigen. Nicht vor Adam, meinem Mann, nicht vor Nora, deiner Tochter. Ich muss mich bekennen zu dir. Anders kann ich nicht mehr leben.»
«Trag sie», sagte Aron. «Setz sie auf, bedecke dein Haar damit. Halt noch eine kleine Weile aus. Ich verspreche dir, alles wird gut.»
Er sah sie direkt an, und sie las in seinen Augen, dass er glaubte, was er sagte.
«Wie lange noch?», fragte Priska.
«Komm her, komm noch einmal her zu mir.»
Sie ließ sich von ihm in die Arme nehmen, ließ sich streicheln und herzen.
«Luther, von dem alle Welt jetzt spricht, hat auf einem Flugblatt geschrieben, dass die Juden, so sie sich taufen lassen und Christen werden, ihren Platz in den Städten finden werden. Verstehst du, was das heißt, Priska?»
Sie schüttelte den Kopf.
«Ich werde mich taufen lassen. Ich werde in deine Nähe ziehen.»
«Und dann, Aron? Dann bin ich noch immer die Frau des Stadtarztes.»
Aron nickte. «Das stimmt. Aber Adam wird dich freigeben. Er weiß um seine Unfähigkeit zur Ehe. Er hat nicht das Recht, dich noch länger bei sich zu behalten. Er ist ein Mann von Ehre, wird dich freigeben, sobald ich ein Christ geworden bin.»
Wärme durchflutete Priska bei diesen Worten. Ihr Herzwurde leicht wie ein Schmetterling. «Du würdest dich taufen lassen, Aron? Das würdest du wirklich tun?»
Er nickte. «Unser Gott ist derselbe, Priska. Ich glaube nicht, dass ich mir die Ewigkeit verspiele, wenn ich aus Liebe handele. Liebe braucht Mut, weißt du. Und Bekenntnis.»
«Aber in der Schrift steht, du sollst Gott mehr lieben als den Menschen.»
«Das ist wahr. Aber Gott hat den Menschen geschaffen. Wenn ich dich liebe, Priska, so liebe ich doch auch Gottes Schöpfung. Ich werde mit deinem Mann reden.»
Priska erschrak. «Nicht jetzt, Aron. Seine Schwester ist verschwunden, es geht ihm nicht gut, er braucht mich jetzt.»
«Das sagst du seit Jahren. Aber hat er das Recht, dich daran zu hindern, glücklich zu werden? Ich werde nichts tun, Priska, was dir nicht gefällt. Aber ich möchte mit dir
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