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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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tanzen, wenn du willst, aber sobald ich tot bin, werde ich lebendiger sein, als du es dir vorstellen kannst.»
    «Unfug. Ich habe dein Leben nicht zerstört. Du wolltest Adam nicht mehr heiraten, du hast dich mit dem Zimmermann herumgetrieben, du hast dir – wo auch immer – die Franzosenkrankheit geholt.»
    Priska wollte noch weiterreden, doch plötzlich sah sie Tränen in den Augen ihrer Schwester – und erschrak. Noch nie hatte sie Regina weinen sehen.
    «Ich will doch nur leben, sonst nichts. Ein bisschen Liebe vielleicht noch. Ist das zu viel verlangt?»
    Diese Worte trafen Priska ins Mark. Auch sie wollte doch nur leben und dazu ein bisschen Liebe. Und auch sie fragte sich, ob das zu viel verlangt war.
    «Wo sind deine Kinder?», fragte sie.
    «Mein Sohn, der Älteste, ist weggegangen. Ins Erzgebirgische. Als Knappe wollte er sich dort verdingen. Ich habe seit Ostern des letzten Jahres nichts mehr von ihm gehört.»
    «Und dein zweites Kind? Ich habe es noch nie gesehen.»
    Regina lächelte traurig. «Sie ist gestorben, vor drei Jahren schon. Sie hat in den Flussauen gespielt und sich die Kleider nass gemacht. Dann ist sie krank geworden. Bluthusten. Am Ende ist sie gestorben.»
    «Das tut mir leid. Warum hast du nicht nach dem Arzt geschickt?»
    Regina antwortete nicht, sondern sah ihre Schwester nur lange an.
    «Ich verstehe», sagte Priska.
    Regina aber schüttelte den Kopf. «Nichts verstehst du. Ich hatte solche Angst um sie. Aber ich konnte nicht nach dem Stadtarzt rufen. Ich war es schließlich, die ihn in Verruf gebracht hat. Einmal war ich bei euch, doch außer der Magd war niemand da. Sie hat mir ein paar Blüten gegeben gegen den Husten; ich habe sie angefleht darum.»
    «Blüten? Was für Blüten?»
    «Aus einem kleinen Säckchen. Blaue Blüten. Ich habe einen Trank daraus gemacht. Und eine Stunde, nachdem mein Kind davon getrunken hat, war sie tot.»
    «Eisenhut», flüsterte Priska und dachte: Sie hat ihre eigene Tochter umgebracht.
    «Du hast deine Kinder geliebt?», fragte sie.
    Regina nickte. «Ja, ich liebe sie noch. Sie sind die Einzigen, die ich jemals geliebt habe und die mir meine Liebe vergolten haben.»
    Priska glaubte ihr. Sie schwieg. Niemals durfte Regina erfahren, dass ihre Tochter durch ihre eigene Hand zu Tode gekommen war. Jetzt regte sich Mitleid in ihr. Vielleicht, dachte sie, hat Regina gelernt.
    «Komm mit zu mir», sagte sie. «Ich bin sicher, Adamwird dir ein Mittel geben. Aber gegen die Lustseuche ist auch er machtlos.»
    Da fiel Regina vor ihr auf die Knie, fasste nach Priskas Kleidersaum.
    «Ich habe mein Haus und meine Arbeit verloren. Ich habe nichts mehr. Hilf mir, Priska. Sonst verrecke ich im Rinnstein wie eine Bettlerin.»
    Priska runzelte die Stirn. «Was erwartest du von mir?»
    «Nimm mich auf in deinem Haus. Deine Magd ist weggelaufen, weil ihr lutherisch seid. Noch habt ihr keine neue. Nimm mich, so, wie Eva einst ihre Schwester gehalten hat. Ich werde dir eine gute Dienstmagd sein.»
    Alles sträubte sich in Priska. Nein, sie wollte Regina nicht bei sich haben. Noch nicht einmal in ihrer Nähe. Aber war sie nicht verpflichtet, ihr zu helfen? Und wenn sie ihr schon helfen musste, hatte sie dann nicht auch das Recht, von ihr etwas zurückzubekommen? Und wenn es nur das morgendliche Wasserholen war, welches Regina für sie erledigte.
    «Nein, Regina, das geht nicht. Wir brauchen keine Magd.»
    Die Worte waren ausgesprochen, noch ehe sie nachgedacht hatte. Einen Augenblick fühlte Priska sich schuldig.
    Doch da tauchte wieder dieser lauernde Ausdruck in Reginas Gesicht auf. «Du bist eine Judenhure», sagte sie. «Ich weiß es. Und wenn ich es den richtigen Leuten erzähle, wenn ich zur Lechnerin gehe und zur Universität, was meinst du, was dann geschieht? Mag ich auch nur eine arme Frau sein; Adam aber hat genug Feinde in der Stadt.»
    Priska war nicht überrascht. Eigentlich hatte sie nur darauf gewartet. Regina hatte sich nicht geändert. Noch immerloderte der Hass in ihr. Und sie wusste zu viel. Aber war es nicht besser, den Feind vor den Augen zu haben?
    «Gut», willigte sie ein. «Ich nehme dich mit. Vielleicht kannst du uns nützlich sein. Aber eins sage ich dir: Wenn du meine Liebe zu Aron in den Schmutz ziehen willst, so werde ich nicht verhindern, dass die Liebe dich zerstört. Verrecken wirst du an der Franzosenkrankheit so oder so. Ich aber kann dafür sorgen, dass dein Leid erträglich ist.»
    Sie sah noch einmal auf ihre Schwester, über deren

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