Die Wunderheilerin
Frauenhaus», teilte Adam ihr mit. «Ich muss nach den Huren sehen. Es ist schon wieder eine von ihnen schwanger geworden.»
Priska sah das Haus schon von weitem. Es war eines der wenigen in der gesamten Vorstadt, das aus Bruchsteinen gemauert war und sich über zwei Geschosse zog. Im unteren Stockwerk war die Gaststube, darüber befanden sich die Kammern der Frauen.
Zögernd trat sie an Adams Seite ein. Es war das erste Mal, dass sie im Inneren des Frauenhauses war. Die Gaststube sah genauso aus wie die, die sie aus der Stadt kannte. Der Boden war aus Lehm gestampft und mit Binsen bestreut, darauf standen hölzerne Tische und Bänke, über einer offenen Kochstelle hing ein riesiger Kessel, der zu dieser frühen Morgenstunde noch leer war. Es roch nach billigen Duftwässern und ranzigem Fett, nach schalem Bier und den Ausdünstungen zahlreicher Menschen.
Die Frauen saßen an den Tischen. Einige flickten ihre Kleider, ein junges Mädchen verzierte einen Gürtel, eine andere rührte eine rote Paste aus Talg und dem Saft Roter Beete.
Die meisten von ihnen hatten die Jugend bereits hinter sich gelassen. Eine der Älteren hatte ihren Kopf auf den Tisch gelegt, die Müdigkeit drückte sie nieder. Die Frauen hatten die ganze Nacht gearbeitet und viel zu wenig Schlaf gehabt. Ihre Kleider wirkten ärmlich, aber sauber. Der Zierrat daran war billig: eine verwelkte Blume, ein einfaches Lederband mit einem Stein daran, Gürtel mit verblassten Farben, verwaschene Tücher.
Aufmerksam sah Priska jede Frau einzeln an. Zwei erkannte sie wieder; mit ihnen hatte sie früher manchmal gespielt. Und dann war da noch eine, fast noch ein Kind. Priska erschrak. Das war Margarete, ihre jüngste Schwester. Das Mädchen sah sie mit leerem Blick an. Sie erkannte sie nicht. Vor sieben Jahren war Priska weggegangen, seitdem hatte sie ihre Schwester nicht mehr gesehen. Margarete war damals acht Jahre alt gewesen. Jetzt trug sie das gelbe Hurenzeichen am Kleid. Plötzlich wusste Priska, dass auch sie hierher gehörte. Hier wäre sie gelandet, hätte die Silberschmiedinsie und Regina nicht zu sich geholt. Hier würde sie sitzen und jede Nacht erneut ihren Schoß entblößen müssen. Am liebsten wäre sie zu Margarete gestürzt, hätte sie in ihre Arme gezogen, doch das ging nicht. Zwischen ihnen war ein Graben, der durch nichts zu überbrücken war. Sie waren Fremde. Mehr noch: Sie standen auf verschiedenen Seiten. Es war besser, sie nicht als Schwester zu sehen, denn helfen konnte sie ihr nicht.
Priska blickte schnell weg. Neben Margarete saß Renate aus Halle, die sie kannte, seit sie denken konnte. Aber auch sie sah Priska an, als wäre es das erste Mal. Ich muss mich sehr verändert haben, dachte Priska und sah an sich hinab. Sie wusste nicht, ob sie froh oder enttäuscht darüber sein sollte, dass niemand sie mehr erkannte. Nein, das stimmte so nicht. Sie war froh, nicht erkannt zu werden. Sie wollte nicht zurück, wollte auch nicht erinnert werden. Sie war die Frau des Stadtarztes. Mehr nicht.
«Vierzehn Kinder habe ich geboren», klagte Renate Adam ihr Leid. «Und keines von ihnen ist mir geblieben. Ein paar sind gestorben, ein paar als Findelkinder verstreut. Nun bin ich wieder schwanger, obwohl ich das 35. Jahr längst überschritten habe. Ich möchte nicht mehr schwanger werden.»
«Du könntest dich zur Ruhe setzen», schlug Adam vor und sah nach dem Ausschlag, der sich über Renates Arme zog. «Dann wirst du auch nicht mehr schwanger.»
«Wovon soll ich leben, Doktor?»
Adam zuckte die Achseln. «Es ist die ewige Mühle, nicht wahr? Wenn du arbeitest, wirst du schwanger und eines Tages dabei dein Leben verlieren. Wenn du nicht arbeitest, dann wirst du verhungern.»
Renates Augen füllte sich mit Tränen. «Ich werde verrecken bei diesem Kind, Doktor. Ich weiß es. Mein Schoß ist alt. Helft mir, ich bitte Euch sehr. Schon beim letzten Mal wäre ich fast draufgegangen.»
«Ich kann dir nicht helfen, Renate. Eine Hebamme wirst du brauchen, wenn es so weit ist. Und viel Ruhe. Du solltest deine Arbeit bis zur Geburt unterbrechen.»
«Das kann ich nicht. Dann bleibt mir nur ein Ausweg», flüsterte Renate, und jeder wusste, was sie meinte.
Priska sah, wie sich die Angst in ihren Augen einnistete.
«Bring das Kind zur Welt», sagte sie leise. «Gott hat es dir zum Geschenk gemacht. Es ist eine schwere Sünde, wenn du dich nicht daran freust.»
Priska sah der Frau in die Augen, streifte auch ihre Schwester mit einem kurzen
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