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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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die Nadelmacherin und ihre drei kleinen Kinder nicht im Stich lassen. Sie atmete einmal tief durch und schritt dann rasch aus. Kurze Zeit später hatte sie den Schindanger erreicht.
    Im Schein des Mondlichts fand sie schon bald einen Platz, an dem die Erde frisch aufgeschüttet worden war. Hier war erst kürzlich ein Kadaver verscharrt worden. Sie nahm die Schaufel ganz fest in die Hand und grub. Am liebsten wäre sie davongelaufen, doch sie riss sich zusammen, unterdrückte den Brechreiz und hatte nach einiger Zeit die Tierleiche freigeschaufelt. Der Mond beleuchtete das tote Tier, in dessen starren Augen die Erde klebte. Sorgsam musterte Priska den Kadaver. Endlich entdeckte sie das Gesuchte: unzählige kleine weiße Maden, die sich bereits in das tote Fleisch gefressen hatten.
    Priska schüttelte sich vor Ekel, doch dann griff sie mit spitzen Fingern nach den Maden, sammelte sie vom Kadaver und verstaute sie in einen verschließbaren kleinen Tiegel. Sie hielt erst inne, als der Tiegel randvoll war.
    Erleichtert stand sie auf, klopfte das Kleid sauber und eilte durch das Hurenpförtchen zurück in die Stadt. DenNachtwächtern wich sie geschickt aus, und wenig später war sie in ihrem Haus in der Klostergasse. Sie versteckte die Maden in ihrer Kammer und legte sich todmüde, aber zufrieden ins Bett.
    Am nächsten Morgen wartete sie, bis Adam das Haus verlassen hatte. Dann nahm sie den Tiegel und machte sich auf den Weg zum Nadelmacher.
    «Holt mir ein paar Streifen Leinen», gebot sie ihm, «damit ich Eurem Weib einen Umschlag machen kann.»
    Der Nadelmacher gehorchte. Priska öffnete den Tiegel und legte die Maden um die schwarze, brandige Wunde am Fuß der Kranken.
    «Was   … was macht Ihr da?»
    Der Nadelmacher war zurückgekommen und blickte entsetzt auf das weiße Gewimmel.
    «Euer Weib hat Wundbrand. Sie wird sterben, oder aber Ihr lasst die Maden das brandige Fleisch wegfressen.»
    Sie drückte ihm den Tiegel in die Hand, nahm einen Stoffstreifen und verband den Fuß.
    Der Mann starrte noch immer voller Abscheu auf den Tiegel.
    «Wechselt jeden Abend und jeden Morgen den Verband», befahl Priska. «Sorgt dafür, dass immer neue Maden sich an der Wunde zu schaffen machen. Tut dies so lange, bis der Brand weggefressen ist. Dann säubert die Wunde mit Branntwein. In zwei Wochen kann Euer Weib wieder aufstehen und die ersten vorsichtigen Schritte machen.»
    Der Nadelmacher sah sie zweifelnd an. «Kennt Ihr keine anderen Mittel?»
    Priska schüttelte den Kopf. «Nein. Andere Mittel kenne ich nicht.»
    «Aber warum habe ich noch nie davon gehört, dass ein Arzt bei Wundbrand Maden empfiehlt?»
    Priska lächelte. «Nun, auch ein Arzt kann nicht alles wissen. Ich habe von einem Feldscher gehört, der mit diesem Mittel schon einige vor dem sicheren Tod bewahrt hat. Was habt Ihr zu verlieren, Nadelmacher?»
    Sie verschwieg, dass der Feldscher wegen ebendieser Methode gehenkt worden war. Er hatte die Maden von menschlichen Leichen gesammelt. Priska hoffte, dass sie mit den Maden der Tierkadaver nicht gegen die Totenruhe verstoßen und weitere Schuld auf sich geladen hatte.
    Der Mann nickte, doch er brachte kein Wort des Dankes über die Lippen.
    «Betet!», trug Priska ihm auf. «Betet und erbittet die Hilfe des Herrn. Er wird Euch nicht im Stich lassen.»
     
    Drei Wochen später brachte der Nadelmacher ihr ein Sortiment der feinsten Nadeln. «Mein Weib ist gesund, Doktorsfrau. Ihr habt sie geheilt. Eine Kerze habe ich gestiftet für Euer Seelenheil. Wenn Ihr jemals meine Hilfe benötigt, so bin ich für Euch da. Und mein Weib schickt Euch die Nadeln. Sagen sollt Ihr, wenn Ihr weitere braucht.»

Zehntes Kapitel
    «Nimm mich mit», bat Priska. «Nimm mich mit zu den Kranken und Leidenden. Ich möchte noch viel mehr lernen. Bisher kann ich nur ein paar Arzneien herstellen. Aber das reicht mir nicht. Helfen möchte ich denen, die für einen Arzt und den Apotheker kein Geld haben.»
    «Willst du das wirklich?», fragte Adam.
    Priska nickte. «Ja, von ganzem Herzen. Besser werden soll das Leben für alle Menschen, auch für die Armen. Ich möchte dir dabei helfen, so gut ich kann.»
    Als Priska wenig später an Adams Hand durch das Rahnstädter Tor ging, überfiel sie so etwas wie Aufregung. Ja, sie lebte nun innerhalb des Stadtringes, war durch die Heirat mit Adam sogar Bürgerin geworden, doch in ihrem Herzen war sie wohl für immer ein Kind der Vorstadt, ein Kind der Entrechteten und Armen.
    «Zuerst gehen wir ins

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