Die Wunderheilerin
erwiderte die Schwester und lachte ein wenig. «Was ist Liebe?, fragst du. Was soll Liebe schon sein, hm? Ein Gefühl, sonst nichts. Kaufen kannst du dir nichts davon.»
«Sorgst du dich um den Zimmermann?»
«Sorgen?» Regina schüttelte verwundert den Kopf. «Nein, ich sorge mich nicht um ihn. Hab mit mir selbst genug zu tun. Und mit dem Kind. Er kann allein für sich sorgen. Er ist doch kein Kind.»
«Du sagst, du liebst ihn, aber du sorgst dich nicht um ihn, richtig?»
«Ja. So ist es.»
«Dann», erwiderte Priska. «liebst du ihn auch nicht. Liebe ist sich sorgen. Du begehrst ihn nur. Du Arme, das ist wenig. Der Dämon der Wollust hat von dir Besitz ergriffen.»
«Ach, lass mich in Ruhe, Schwester. Du redest und redest, aber nichts ist dabei, was Sinn hätte. Sich sorgen, lieben und all das Zeug. Dafür habe ich keine Zeit. Verstehst du? Ich muss arbeiten, Brot backen, Essen kochen, Wäsche waschen, mich um Mann und Kind kümmern. Du hast zu viel Zeit und zu wenig zu tun, das ist dein ganzer Kummer.»
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und sah Priska verächtlich an. «Was weißt du schon vom Leben und von der Liebe?», fragte sie.
«Eben. Nichts weiß ich davon. Deshalb bin ich zu dir gekommen.»
Plötzlich veränderte sich Reginas Gesicht. Die Lippen wurden zu schmalen Strichen, die sich wie Würmer in ihrem Gesicht wanden. Aus ihren Augen schossen kalte Blitze. «Was fragst du mich? Bist du blind und taub? Oder dumm? Frag doch den Deinen, woher er am Abend kommt. Frag ihn, was Liebe ist. Er wird dir alles darüber sagen können!»
«Wie … wie meinst du das?», fragte Priska. Ein Schauer lief über ihren Rücken.
«Weißt du es nicht? Er hat sein Liebchen immer noch. Versteckt halten sich die beiden, aber ich habe Augen im Kopf und Ohren, die alles hören.»
«Du lügst.»
«Pff! Das hättest du gern, nicht wahr? Nein, Schwester, ich lüge nicht. Du kannst groß und hochfahrend tun, ich aber weiß, dass das Unglück mit großen Schritten auf dich zukommt.»
«Reden die Leute schon?»
«Wer weiß?»
Reginas Blick hatte etwas Lauerndes an sich. Plötzlich verstand Priska.
«Was willst du haben, damit du den Mund hältst?», fragte sie.
«Willst du dich freikaufen? Ich handle nicht mit Ablässen.»
«Was willst du dann?»
«Nur das, was mir zusteht.»
«Was, Regina, meinst du damit?»
«Nun, Adam sollte mich heiraten. Du hast ihn mir weggenommen. Haben möchte ich, was dir gehört. Es steht mir zu. Deine Kleider will ich, deinen Schmuck. Und Geld. Ich bin arm wegen dir, habe nichts anzuziehen.»
Priska schüttelte den Kopf. «Nein, meine Liebe. O nein. So nicht. Du wolltest ihn nicht. Plötzlich war dir dein Seelenheil wichtiger als Reichtum. Jetzt hast du deine reine Seele. Kleide dich damit, stille so Hunger und Durst. Von mir bekommst du nichts. Keinen roten Heller.»
«Guuuut», sagte Regina im bekannten Tonfall, der Priska Schlimmes befürchten ließ. «Gut. Ich weiß, was ich weiß. Du erhebst dich über mich. Aber das Leben wird dich bald lehren, dass du nichts als Dreck bist.»
Priska erschrak bei diesen Worten. Vorsichtig bewegte sie ihre Füße, ob sie noch in der Lage waren, sie zu tragen. Dann stand sie auf. Ohne ein weiteres Wort verließ sie die Küche. Sie wusste, das war das letzte Mal, dass sie als Schwester in Reginas Heim gesessen hatte. Von nun an waren sie Feinde, und Priska blieb nur die Hoffnung, dass Regina Erbarmen haben möge.
Es war schon dunkel, als Priska auf die Straße trat. Die Gedanken in ihrem Kopf wirbelten wie Schneeflocken durcheinander. Sollte wahr sein, was Regina gesagt hatte? Traf sich Adam tatsächlich wieder mit seinem Liebsten? War er also doch von einem Dämon besessen? Nein, nein, nein! Das konnte nicht sein! Das durfte nicht wahr sein. Regina log. Bestimmt war sie nur neidisch.
Entschlossen ging Priska die dreckige Gasse hinauf, doch je näher sie ihrem Heim in der Klostergasse kam, umso langsamer wurden ihre Schritte. Und wenn Regina nicht gelogen hatte? Ein Wort von ihr auf dem Markt, eine Bemerkung am Brunnen, und Adam wäre wieder in Gefahr. Aber nein, das würde Regina nicht wagen. Oder doch? Und wenn Regina etwas gesehen hatte, dann würden auch die anderen Leipziger etwas bemerken.
Tief in Gedanken versunken, blieb Priska stehen. Die Glocken verkündeten die sechste Abendstunde. Um diese Zeit kam Adam für gewöhnlich nach Hause. Plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte.
Sie lief die Hainstraße hinauf, eilte
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