Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
der Oberfläche ist.
Müde rieb sie sich die Augen.
Dann gähnte sie.
Sie drehte sich um, lag auf dem Rücken und starrte zwischen den Ästen und den bunten Blättern hindurch in den Himmel. Dann legte sie sich beide Hände auf den Bauch und atmete einfach nur, so, wie Mica es ihr in einem seiner Workshops zur Chakren-Meditation beigebracht hatte. Man musste das so lange machen, bis irgendwann die Entspannung eintrat. Klasse. Die Vögel zwitscherten, und irgendwo in weiter Ferne hörte man Autos und Spaziergänger und die Schreie der Baseballspieler. Faye indes versuchte, sich nicht ablenken zu lassen. Sie atmete und atmete, sie lauschte und sah in sich hinein, tief, tief in sich hinein, und dann passierte, was auch während der Chakren-Meditation im vergangenen Winter passiert war: Sie schlief ein. Einfach so, ohne schlechtes Gewissen oder Skrupel. Sie war die Einzige in dem Workshop gewesen, die alles verschlafen hatte, und jetzt, am See, tat der Schlaf genauso gut wie damals.
Was sie träumte?
Keine Ahnung, sie erinnerte sich später an nichts. Nur daran, dass sie, so seltsam sich das auch anhörte, in Zeichnungen geträumt hatte. In Skizzen, Bleistift auf Notizbuchpapier. Sie hatte vorher noch nie in Zeichnungen geträumt, dies hier war das erste Mal.
Dann schreckte sie auf, weil sie im Traum irgendwo in weiter Ferne ein Geräusch gehört hatte, das zur Zeichnung eines Motorrollers gepasst hatte. Ein wildes Knattern, das plötzlich erstarb.
Sie blinzelte ins Sonnenlicht.
Der Wind war kühler geworden.
Sie setzte sich auf.
Prospect Park. Der See. Okay, hier war sie also.
Sie rieb sich die Augen und lauschte in die Stille des Parks. Das Echo des Knatterns war verhallt, aber sie hatte das Gefühl, es noch greifen zu können.
Sie seufzte.
Alex?
Blödsinn!
Sie stand auf, rekelte sich und streckte sich und fragte sich, ob sie jemals eine Chakren-Meditation bewusst erleben würde. Herrje, hatte sie wirklich geglaubt, dass Alex Hobdon hier im Park auftauchen würde? Sie wusste ja nicht einmal, ob sie das überhaupt wollte. Dann dachte sie an Aaron Lescoe, und ihr fiel ein, dass Ian Hedges sich seit Tagen nicht mehr gemeldet hatte. Ein gutes Zeichen. War es vielleicht möglich, dass er endlich über sie hinweg war? Die Geschichte mit dem Skorpion und dem Wolf kam ihr erneut in den Sinn, und es gefiel ihr überhaupt nicht, an sie erinnert zu werden. Zu viele Gedanken, ganz eindeutig.
»Faye?«
Ihr Name! Seine Stimme!
Sie fuhr herum und …
»Faye Archer.«
… da stand er: Alex Hobdon. Sie blinzelte, schnappte nach Luft, rang um Fassung. Kein Zweifel möglich, er war es. Hier im Prospect Park. Er stand vor ihr und sprach sie an. Es war passiert. Aber wie? Egal! Er trug Jeans und eine Lederjacke. Die Haare waren verwuschelt. Er war den Weg gekommen, den auch sie gekommen war; vermutlich hatte er seinen Motorroller weiter oben bei den Bäumen abgestellt.
»Ich war im Buchladen«, erklärte er ihr, »und du warst nicht da.«
Faye nickte. Als würde sie verstehen, was genau er damit meinte. Als würde dieser Satz irgendwas erklären. »Ich war die ganze Zeit über hier. Chakren-Meditation.« Sie fragte ihn gar nicht erst, warum er hier war. Der Motorroller aus dem Traum war wohl wirklich seiner gewesen.
»Dein Chef sagte mir, dass ich dich vielleicht hier finde.«
Oh, Mica Sagong! Dafür wirst du sterben!
»Ja«, sagte sie leise, »hier bin ich.« Glück gehabt! »Und jetzt?« Sie wusste, dass sie sich provokant anhörte. Dabei wusste sie nicht einmal, ob sie auf Streit aus war oder sich einfach nur vor Freude im Gras wälzen sollte, weil er hier war, überraschend, plötzlich, unverhofft.
Alex trat behutsam einen Schritt auf sie zu. Er schien sich seiner nicht gerade sicher zu sein. »Hör zu, es ist einiges schiefgelaufen. Zwischen uns, meine ich.« Er schluckte. »Nun ja, eigentlich ist alles schiefgelaufen. Aber … ich meine, wir sollten reden.«
Sie schüttelte energisch den Kopf. »Nein, das sollten wir nicht. Ich will nicht mehr reden. Es ist vorbei.«
Er schürzte die Lippen. »Das ist okay«, sagte er ganz langsam, fast war es ein Flüstern. »Wenn du nicht reden willst, okay, ich kann das verstehen. Lass mich reden. Hör mir einfach zu. Danach verschwinde ich. Versprochen. Aber ich muss ein paar Dinge loswerden.« Er räusperte sich und sah nicht gerade glücklich aus, so, wie er da vor ihr stand. »Wenn es wirklich vorbei ist, dann schadet es auch nichts, wenn du mir zuhörst.« Er sah
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