Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
er da erzählte, konnte nur eine weitere Lüge sein. Eine andere Erklärung gab es nicht. Sie war allein im Restaurant gewesen, und später hatte Dana ihr Beistand geleistet und sie getröstet.
»Und dann verschwinde ich, haue ab. Raus aus dem Boatman. Die Sache ist für mich erledigt.«
Also ich soll der Skorpion gewesen sein?, dachte Faye. War das möglich?
»Draußen werfe ich das Buch weg. Irgendwohin. Einfach so. Mitten in die Gegend. Hauptsache weg damit.« Er wand unruhig die Hände. »Danach habe ich mich betrunken.«
»Du …«
»Das ist alles. Ich habe die Sache für mich an dem Abend beendet.« Er warf ihr einen Blick zu, voller Gefühle, die zwiespältiger nicht hätten sein können. »Ich habe bis heute keine Ahnung«, sagte er, »warum du mich damals überhaupt dorthin bestellt hast. Obwohl du dich dort mit jemand anderem getroffen hast. Ich verstehe das nicht, Faye!« Er rang sich die Worte regelrecht ab. »Ich verstehe es einfach nicht.«
Sie schwieg. Dann sagte sie kleinlaut: »Aber ich habe auf dich gewartet, die ganze Zeit über. Du bist nicht gekommen.« Bereits als sie das sagte, ahnte sie, wie falsch es sich anhörte. »Warum bist du nicht in den Laden gekommen?« Als sie die Frage ausgesprochen hatte, wurde ihr bewusst, dass sie von heute sprach und er von 2008. »Ich meine, du hättest …«
»Am nächsten Tag habe ich im Real Books nach dir gefragt.«
»Und?«
»Niemand kannte dich. Weder der Besitzer noch sein Angestellter hatten von dir gehört.«
»Quatsch.«
»Es hatte nie eine Faye Archer gegeben. Nicht im Real Books.«
»Das ist unmöglich.«
»Glaub mir, es ist möglich«, spie er ihr entgegen. »Danach«, fuhr er fort, »habe ich ein neues Leben begonnen. Kein Tag wäre besser dafür geeignet gewesen als der.«
Faye verstand noch immer nicht, wovon er redete. Nichts passte zueinander, alles war verkehrt. »Von welchem Tag sprichst du?« Sie musste die Frage stellen.
»Von dem Tag, nachdem ich dich mit diesem anderen Kerl gesehen hatte. Dem Schwarzen Montag. 15. September 2008. Das Datum, das jeder kennt. Es fing mit Lehman Brothers an, das war der Beginn des großen Crashs. Die Banken gingen in die Knie, dann die Versicherungen. Viele Menschen verloren ihr Geld.« Sein Blick verfinsterte sich. »Die Nachfrage ging zurück. Und welche war eine der ersten Branchen, die es zerrissen hat? Die Automobilbranche. Unseren Auftraggeber.«
Faye wusste nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Sie hatte alle Mühe, mit Alex Hobdons Geschichte Schritt zu halten. Herrje, die Finanzkrise? Was, in aller Welt, kam denn noch?
»SunMind verzeichnete einen Rückgang der Aufträge.«
Faye erinnerte sich an ihren Besuch am Waverly Place.
» GM und andere gingen auf Sparkurs. Ein paar Tage später gab es die ersten Gerüchte. GM würde als unser größter Kunde schon bald abspringen, munkelte man, sofern sich die Lage weiter verschlechtern würde.« Er stand jetzt auf und ging vor der Bank auf und ab. »Die Lage verschlechterte sich natürlich. Alles ging den Bach runter. SunMinds Umsätze sanken stark und schnell, und zwei Wochen später verkündeten sie uns, dass die Abteilung, in der ich arbeitete, wegrationalisiert werden würde. Es ging nicht anders. Wir bekamen kleine Abfindungen, und das war dann auch schon alles.«
Faye schwieg und versuchte einen logischen Zusammenhang zwischen all dem und ihren jüngsten Erlebnissen zu erkennen. Alex redete noch immer von Ereignissen, die sich vor vier Jahren zugetragen hatten.
»Es war Karma«, sagte Alex. »Ja, wie in den Comics. Bruce Wayne, Clark Kent, Wolverine. Ich wollte schon immer Comics zeichnen und hatte nie die Zeit dazu. Doch auf einmal war ich arbeitslos. Peng! Ich konnte neu starten, wie und wo und womit auch immer. Warum also nicht Zeichner werden? Autor?« Verträumt schaute er auf den See. »Ich beschloss ganz einfach, nach vorn zu blicken. Nichts von dem, was mich belastet hatte, sollte mich begleiten. Alles war jetzt nur noch Vergangenheit. Unwichtig. Vergessen. SunMind. Die GraphiCon. GM.«
»Faye Archer.«
Alex schluckte. »Ja«, sagte er, »Faye Archer gehörte auch dazu.« Worte wie ein bitterer Geschmack im Mund.
»Was ist dann passiert?«
»Das, was dann passierte«, erinnerte sich Alex, »klingt wie ein Märchen.«
Wind kam auf, und ein Wirbel von bunten Blättern regnete auf die beiden herab.
»Ich musste eine neue Wohnung finden. Eines Nachmittags heftete ich einen entsprechenden Zettel ans schwarze Brett eines
Weitere Kostenlose Bücher