Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
Cafés in Greenwich. Eine alte Dame beobachtete mich dabei.« Er lächelte versonnen. »Miss Bedelia Parker. Das war ihr Name.«
»Klingt tatsächlich wie ein Märchen.«
»Miss Parker lebte in Brooklyn und organisierte einmal die Woche eine Art literarische Diskussionsrunde für Rentnerinnen. Sie nannten sich, und das ist jetzt kein Scherz, Der lasterhafte Kreis .«
Faye flüsterte: »Wow.«
»Wie auch immer, Miss Parker wollte einen Reiseführer schreiben. Ja, einen sehr neuartigen Reiseführer für ältere Herrschaften, die sich durch die Reisen in ferne Länder wieder jung fühlen würden. Dazu musste sie natürlich reisen. Wer aber sollte sich um ihre Wohnung kümmern?« Er deutete auf sich. »Vielleicht war es Karma, vielleicht auch nicht. Sie vertraute mir ihren Grünpflanzendschungel an und die beiden Katzen. Ich durfte bei ihr wohnen, wenn ich mich gewissenhaft um alles kümmern würde. Keine Miete.«
»Und dann?«
»Das Übliche. Diverse Jobs, ich begann zu zeichnen, hatte das Glück, einige Sachen zu veröffentlichen, bekam irgendwann einen Vertrag. In ein paar Monaten, Anfang nächsten Jahres, wird meine erste Graphic Novel jetzt in einem richtigen Verlag erscheinen.«
»Ein Happy End also?«
»Vielleicht.«
»Und Jennifer Towles?«
Er seufzte. »Ist ein Teil dieses neuen Lebens.«
Faye nickte enttäuscht. Sie hätte gern etwas anderes gehört.
»Um das Buch fertigzustellen«, erklärte er, »wollte ich noch einmal die Vorlage von Truman Capote lesen. Ich dachte, es sei eine gute Idee, es im Real Books zu kaufen. Ich war seit Jahren nicht mehr dort gewesen. Irgendwie hatte es ja genau dort angefangen. Es sollte die gleiche Ausgabe sein wie jene, die ich damals vor Wut weggeworfen hatte.«
»Du hast wieder dein Notizbuch vergessen.«
»Aber ich habe mich daran erinnert und es am nächsten Tag abgeholt. Alles kein Problem.«
Sie spürte, wie die Kopfschmerzen bei ihr anklopften. Was für eine abstruse Geschichte. Alex hatte wirklich reichlich Fantasie. »Was hat das mit mir zu tun?«
»Alles, Faye, alles hat mit dir zu tun.«
Sie warf ihm einen misstrauischen Blick zu. »Wie meinst du das?«
»Ich hätte nie gedacht, dich jemals wiederzusehen, und dann läufst du mir einfach so über den Weg.«
Faye war sich nicht sicher, ob sie mehr hören wollte. »Wer ist das?«, hörte sie Jennifer Towles fragen. »Niemand«, hatte Alex geantwortet. »Niemand.«
»Warum bist du hier?«
Stille.
»Ich wollte mit dir reden.«
»Wozu?«
Er sah sie fragend an. »Wie meinst du das, ›wozu‹?«
»Was bringt es uns denn, wenn wir über all das reden? Was? Sag es mir!« Es schnürte ihr förmlich den Hals zu, das zu fragen. Sie merkte, dass sie kurz davorstand, ihn anzuschreien. Sie spürte auch, dass sich Tränen in ihr regten.
»Warum haben wir uns überhaupt kennengelernt?«, fragte Alex. »Wie hat es angefangen?«
»Du hast dein Notizbuch im Real Books vergessen, und ich habe dir eine Mail geschickt. Aber du behauptest, dass du die Mails schon vor vier Jahren bekommen hast. Das ist doch verrückt. So etwas gibt es nicht.«
Lügen, nichts als Lügen.
»Dann sag du mir doch, was passiert ist. Ich hatte dich seit vier Jahren nicht mehr gesehen!« Auch er wurde laut. »Und jetzt? Gehst du mir nicht mehr aus dem Kopf, weil du mir schon damals nicht mehr aus dem Kopf gegangen bist.« Er rutschte auf der Bank näher, langsam, zögerlich, und sie machte den Fehler, einen Sekundenbruchteil in seinen dunklen Augen zu versinken. Ja, genau das war es, was sie hatte vermeiden wollen.
»Faye, hör zu, ich …« Er war ihr ganz nah, plötzlich.
»Vergiss es«, sagte sie schnell und hob abwehrend die Hände. »Ich bin mit Aaron zusammen.« Überstürzt, fast panisch, sprang sie auf, schnappte sie sich die Wolldecke und den Rucksack. Dann trat sie die Flucht an, weil ihr hier und jetzt, in diesem Augenblick, nichts anderes mehr übrig blieb, als zu laufen, so schnell ihre Füße sie zu tragen vermochten. Denn Alex Hobdon sollte die Tränen nicht sehen, die ihr übers Gesicht rannen. Niemals!
14
»Wenn es mir nicht gut geht«, pflegte Faye zu sagen, »dann schaue ich auf den East River.« Der Fluss war immer schon da gewesen, und immer schon hatte sie es genossen, an seinem Ufer zu sitzen und auf die grauen, kalten Fluten zu blicken, hinüber zum Hafen und den Wolkenkratzern von Manhattan. Manchmal kam sie spätabends hierher und fragte sich, wie es sich wohl anfühlen würde, im Mondlicht, das auf dem East
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