Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
Nachgeschmack war ihr geblieben. Was man sieht, passiert doch auch, dachte sie. Sie musste sich eingestehen, dass sie immer noch unruhig war. Zu viele Gedanken bestürmten sie. Was, wenn es doch Alex Hobdon gewesen war? Ihr Alex! Würde das etwas ändern?
Faye Archer hasste Zweifel. Zweifel waren der Anfang vom Ende. Um das herauszufinden, hatte sie nicht unbedingt alle Beziehungen gebraucht. Die ersten beiden hatten da schon ausgereicht.
»Hör auf damit.«
Sie stand auf, schlüpfte in einen Pyjama – sie liebte Pyjamas –, machte sich ein kleines Abendessen, bestehend aus Käse, Chips, Tomaten und Avocadostücken, schnappte sich die noch halb volle Flasche Rotwein vom Vorabend und suchte nach einem Film, der sie ablenken würde. Sie fand A Good Year . Der Trailer gefiel ihr. Die Farben waren traumhaft, fast wie der Herbst in seinen besten Momenten. Außerdem ging es um Liebe, Sonne und Wein, um Frankreich – wo sie nie gewesen war, aber das konnte sich ja noch ändern – und das Leben in den Augenblicken, in denen es schön ist. Die Musik war beschwingt und angenehm, und Faye fand, sich in den Decken auf der Couch zu verkriechen war nicht die schlechteste Lösung für einen Abend wie diesen.
Als der Film vorbei war, hörte sie Musik, und irgendwann …
Irgendwann schlief sie dann ein.
Sofern sie etwas träumte, waren es Träume, an die sie sich nicht erinnerte. Mitten in der Nacht pfiff ihr Laptop. Sie hatte das Pfeifen selbst aufgenommen, vor etwa einem Jahr.
Schlagartig war sie wach. Wenn der Laptop pfiff, war eine Mail eingetrudelt.
Alex!
Ihr Herzschlag beschleunigte sich.
Im Dunkeln tastete sie nach dem Laptop, den sie irgendwo abgestellt hatte.
»Oh, Mann«, murmelte sie verschlafen.
Sie fand den Laptop. Rutschte zu ihm nach unten auf den Boden, der ziemlich kalt war. Drückte instinktiv die Tasten. Starrte den Bildschirm an, und ein Fenster öffnete sich.
Alex Hobdon
Hallo Faye, bin in Chicago. Endlich! Im Hotel. Zu müde zum Schreiben. Habe während der Fahrt offline einiges notiert. Eine Art Logbuch. Ein Zug ist zwar kein Schiff, aber ich war unterwegs. Du kannst es lesen. Melde mich morgen wieder. Versprochen. Alex.
Ihr Herz hüpfte förmlich durch die Wohnung. Er hatte an sie gedacht, und mit einem Mal sprang sie auf und mit hocherhobenen Armen siegessicher auf und ab, bis sie außer Atem war, sich den Laptop schnappte und sich mit ihm auf die Couch fallen ließ.
Das Dokument im Anhang hieß dies und das .
Faye holte tief Luft. Ihre Finger berührten die Tastatur.
Holly_Go!
Hi Alex, beginne gleich mit dem Lesen. Schlaf gut. Faye
Enter. Klick. Weg damit. Erst als sie die Zeilen abgeschickt hatte, fragte sie sich, ob »Schlaf gut. Faye« nicht zu altmodisch und zu direkt klang.
»Schlaf gut«, sagte sie und musste schmunzeln. Vergessen waren die Sache mit dem Roller und das Misstrauen. Er hatte an sie gedacht, und er hatte ihr etwas geschrieben. Ist das nicht wunderbar?, schrie das Mädchen in ihr. Er hat an dich gedacht, die ganze Zeit über. Sie wusste, wie sich der Glücksschrei eines kleinen Mädchens anhörte, wenn sie ihn tief in sich spürte.
Sie öffnete das Dokument, das er der Mail angehängt hatte, und dann wartete sie ungeduldig, bis ihr Laptop – Das alte Ding, dachte sie, wird irgendwann den Geist aufgeben! – es geladen hatte. Sie wickelte sich ganz fest in die Decken ein und begann zu lesen.
Hallo Faye!
Ich reise wie immer nur mit leichtem Gepäck, denn entweder sind es nur kurze Reisen oder solche ohne Rückfahrschein, und für beide braucht man nicht gerade viel. Eine Reisetasche, das ist alles, sonst nichts. Dazu ein Netbook, gebraucht, letztes Jahr im YaYa in der Cortland Street erstanden. Ich liebe gebrauchte Sachen. Sie geben einem das Gefühl, zueinander zu gehören. Ich weiß, klingt etwas seltsam, weil es ja nur Dinge sind, aber so ist das. Ich dachte, ich nehme es mit, um dir schreiben zu können, obwohl ich normalerweise nur ungern mit Netbook verreise. Vorn auf dem Netbook prangt ein Aufkleber des Eskapisten . Die gleichnamige Graphic Novel von Kavalier und Clay ist so was wie ein Klassiker aus den Anfängen der Comic-Kultur. Im Zug wird oft keine Verbindung verfügbar sein. Amtrak garantiert einem zwar, nie wirklich offline sein zu müssen, aber ich traue ihnen nicht. Daher habe ich mir Folgendes überlegt: Ich schreibe dir einfach alles auf, meine Gedanken, erzähle dir, was ich so tue, und schicke dir anschließend von Chicago aus das gesamte
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