Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
ihren Atem rasseln, doch ansonsten war es still.
Ja, genau das war es, was ihr in diesem Augenblick bewusst wurde – und dass sie auf einmal nicht mehr gern allein in ihrer Wohnung war.
Wie seltsam, das hatte sie schon lange nicht mehr gedacht.
»Alex Hobdon«, sagte sie laut.
Sie mochte den Klang seines Namens noch immer, selbst jetzt, da er mit einem so großen Zweifel behaftet war. Verdammt, sie war sich so sicher, ihn gesehen zu haben. War es möglich, dass die eigenen Augen einen so täuschten? Dass einem der Verstand solche Streiche spielte? Wenn sie jetzt darüber nachdachte, bildete sie sich sogar ein, selbst das Geräusch des Motorrollers wiedererkannt zu haben.
Dummes Zeug!
»Hör einfach auf Dana«, sagte sie sich, während sie so allein in ihrer Wohnung lag und sich danach sehnte, eine Stimme zu hören, die gerade schwieg.
Faye öffnete die Augen, starrte an die Decke.
»Mach was«, sagte sie zu sich selbst.
Sie erhob sich von der gepunkteten Couch und setzte sich vor das Klavier.
»Pling«, sagte sie und drückte das G mit dem Zeigefinger der rechten Hand, dann mit dem Daumen das C darunter. »Pling.« Das war kein Lied, nein, bestimmt nicht, nur ein Etwas, das nicht weiß, was es ist, weil es aus zu wenigen Tönen besteht.
»Du warst da«, flüsterte Faye, »du warst nicht da.« Pling, pling. »Ich habe dich gesehen, und ich habe dich nicht gesehen.« Pling, pling. »Was man sieht, ist die Wahrheit.« Pling, pling.
Ihre rechte Hand erwachte zum Leben und lief auf den Tasten herum wie ein unruhiger junger Hund, suchte sich den Weg zu einer Melodie, die im Dreivierteltakt daherkam. »Flying Days«, sagte Faye so leise, als sollte niemand sie hören. »The leaves are falling«, murmelte sie. »The leaves are falling in your eyes.« Ja, genau. »To cover all the words and cries.« Sie gestattete sich ein Lächeln. Jetzt liefen beide Hände um die Wette, entdeckten die Melodie der ersten Strophe.
»Flying Days«, wiederholte Faye und spielte die Passage erneut. »So fühle ich mich.« Und dann tat sie, was sie in Situationen wie dieser immer tat: Sie folgte der Melodie. Nach fünf Minuten begann sie, den Text auf dem Cover einer alten Cosmopolitan zu notieren, die auf dem Boden neben dem Klavier lag. Nach weiteren zwanzig Minuten hatte sie Melodie und Text zusammengeführt. Sie zu behalten war nicht schwer. Faye Archer vergaß so schnell kein Lied, das sie einmal am Klavier gesungen hatte.
»Und jetzt?«
Sie hob die Hände von den Tasten und faltete sie im Schoß.
»Flying Days.«
Mit einem Lächeln ging sie in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen, verwarf die Idee und drehte stattdessen die Heizung voll auf. Sie kehrte zur Couch zurück, schnappte sich den Laptop, schaltete ihn an, wartete. Na klar, noch keine Nachricht von Alex. Sie schaute zur Uhr. Es war noch viel zu früh.
Trotzdem ließ es ihr keine Ruhe.
Holly_Go!
Hallo? Nur ein einfaches Hallo? J
Sie seufzte, lehnte sich zurück, stellte den Laptop beiseite, schloss die Augen. Sie seufzte noch mal. Nicht, dass das etwas geholfen hätte. Der Anblick von Alex auf dem Roller ließ sich nicht abschütteln.
»Mist«, sagte sie laut. Ihr fiel plötzlich ein, dass sie die Schallplatte von Miles Davis im LL vergessen hatte. Die Sache mit Alex hatte sie wirklich vollkommen aus der Bahn geworfen. T. C. hatte auch nicht daran gedacht und sie einfach so gehen lassen.
»Passiert ist passiert.«
Sie sprang auf, zog sich auf dem Weg ins Bad aus, verschwand lange unter der Dusche. Ließ das heiße Wasser herabprasseln, versank im Dampf, mit geschlossenen Augen. Genoss den Geruch der Seife, die Wärme, die Entrückung. Als sie fertig war, wickelte sie sich in mehrere dicke Handtücher, schlüpfte noch dazu in einen Bademantel und kehrte zur Couch zurück. Das Licht in der Wohnung ließ sie ausgeschaltet. Draußen war es bereits so richtig dunkel; die Nacht kam jetzt immer früher. Die Bäume vor ihrem Fenster rauschten im Wind, doch schon bald würde das Rauschen verschwinden. Nicht mehr lange, und die Blätter würden alle abgefallen sein. Im Winter war es still vor dem Fenster, sah man einmal von den Geräuschen des Straßenverkehrs ab. Ja, die Geräusche im Winter waren einfach anders.
Sie seufzte.
Irgendwie fühlte sie sich, als herrschte bereits Winter.
»Winter in my Heart.«
Sie musste wieder an den Motorroller denken und den Fahrer, der ausgesehen hatte wie Alex Hobdon. Was immer Dana ihr auch gesagt hatte, ein schaler
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