Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
tiefschwarz gefärbtes Haar und war ganz in Schwarz gekleidet: Rollkragenpullover, knielanger Rock, dazu blickdichte Leggins und Stiefel mit eleganten Schnallen an den Seiten. Typischer Williamsburg-Club-Chic. Faye wettete darauf, dass sie Elektro-Swing mochte. Sie sah unverschämt intellektuell aus, unverschämt intelligent mit ihrer Brille mit dem schwarzen Gestell, unverschämt alles, was Faye Archer nicht war, und sie sah aus wie jemand, der sich zu jemandem, der Comics zeichnen wollte, hingezogen fühlt. Ja, insgesamt war sie ein völlig anderer Typ als Faye Archer, und wenn Alex Hobdon mit jemandem wie ihr durch die Gegend zog, wie konnte er dann auf jemanden wie Faye stehen?
Faye wusste, dass dies eine der Situationen war, aus denen einen niemand retten kann. Man steckt in ihnen fest, ohne Aussicht auf Hilfe, und wenn man Pech hat, verfolgen sie einen noch tagelang, und selbst Jahre später holen sie einen in den Träumen mondloser Nächte ein.
Faye öffnete den Mund, schloss ihn wieder, erschauderte.
Alex starrte sie an wie einen Geist, als hätte auch er nicht erwartet, sie so hier zu sehen.
Die Frau neben ihm sagte leise etwas zu ihm.
Alex schüttelte den Kopf. Dann blickte er noch mal zu ihr herüber.
»Wer ist das?«, hörte Faye die Frau fragen.
Alex sah sie an. »Niemand«, sagte er mit fester Stimme und so laut, dass Faye ihn hören musste. »Niemand«, wiederholte er, und während er das sagte, schaute er Faye so fest in die Augen, dass ihr die Luft wegblieb und sie schlichtweg nichts erwidern konnte. Sie verstand einfach nicht, was hier los war. Wie hätte sie das auch tun sollen? Sie fühlte sich schuldig, ohne zu wissen, warum. Es lag an diesem Ton in seiner Stimme, diesem Ausdruck in seinem Blick. Da war Zorn, der aus Verletzlichkeit geboren worden war; Wut, die gegen sie gerichtet war. Ja, genau das war es, was sie nicht verstand. Er mochte sie nicht, aber sie hatte keine Ahnung, warum er sie nicht mochte. Sie hatten einander doch vor wenigen Stunden noch geschrieben. Außerdem sollte er in Chicago sein, und das war er nicht. War die GraphiCon nur eine Lüge gewesen? Er war hier in Brooklyn, und nichts, aber auch wirklich gar nichts, passte zusammen. Und dann sagte er dieses Wort, das wie ein Stich in Faye Archers Herz war.
Niemand.
Er sagte es berechnend, kalt wie der Wind, der im Winter das Eis vom East River durch die Straßen weht. Dieses spitze und eisig klirrende Wort. Und er sagte es so, als würde sie schon wissen, warum er es überhaupt sagte. Doch sie verstand es natürlich nicht, verstand ihn nicht und verstand die Welt nicht mehr. Warum, wollte sie schreien, bin ich ein Niemand für dich?, brachte aber nicht die Kraft dazu auf, sondern starrte bloß hilflos zurück.
Und dann?
Dann drehte er sich weg!
Einfach so, als sei sie gar nicht da.
Er drehte Faye den Rücken zu, legte den Arm um die Frau in Schwarz und ging mit ihr die Straße hinab. Bevor sie um die Ecke bogen, drehte er sich noch einmal zu Faye um, ohne dass sie seinen Blick hätte deuten können. Sie stand da und fühlte sich wie am Vortag, als sie ihn auf dem Motorroller gesehen zu haben glaubte.
Sie wollte ihm nachlaufen, ihn zur Rede stellen, ihm eine Szene machen. Ja, das wäre jetzt angebracht gewesen. Eine ganze Reihe von Szenarien schossen ihr durch den Kopf, eines besser als das andere, jedes filmreif.
Stattdessen tat sie, was niemand im Film auch nur ansatzweise tat, weil es schlichtweg zu langweilig war, um daraus auch nur eine einzige Minute Film zu machen: Sie tat gar nichts. Denn das hier war kein Film. Im wahren Leben konnte man mühelos geschlagene fünf Minuten untätig und dumm in der Gegend herumstehen, sich an seinem Fahrradlenker festhalten und so aussehen, als sei man gerade stundenlang durch den Regen gelaufen, während einem die Kälte durch den Leib kroch.
Und dann, so plötzlich, wie er begonnen hatte, war der Moment auch schon vorbei, und sie stand allein mit ihrem Fahrrad auf dem Gehweg und starrte die Straße hinab. Melodien kamen und gingen, eine schräger als die andere. Ohne dass es sich vorher angekündigt hätte, war ihre Welt nun schon zum zweiten Mal in drei Tagen innerhalb eines Augenblicks aus den Fugen geraten. Ein kalter Wind wehte das Laub über die Straße, und genauso fühlte sie sich jetzt und hatte keine Ahnung, was sie dagegen tun könnte.
Als sie nach Hause kam, atmete sie erst einmal tief durch. Im Treppenhaus war es still, fast so, als wohnte niemand mehr hier.
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