Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
erscheinenden Situationen wie diesen hier überhaupt keine Alternative gab, als sich mit dem, was einem gerade widerfahren war, anzufreunden. Man musste einfach weitermachen und darauf hoffen, dass man später Glück haben würde. Ja, Hoffnung war die Währung, die ein Künstler in vollen Zügen ausgeben konnte, ohne Angst zu haben, dass er sein Konto überzog.
Sie klappte den Laptop zu und warf durch den offenen Vorhang einen Blick in den Laden. Es war niemand da. Sie seufzte. Hinter ihr standen noch die Kartons, die am Nachmittag gekommen waren. Bücher einzusortieren war wenigstens eine Beschäftigung, die sie ablenken würde.
»Du siehst immer noch betrübt aus«, stellte Mica fest, als sie an ihm vorbeiging. »Weißt du, dass ich das eigentlich nicht mag?«
»Ich dachte immer, du freust dich, wenn ich so bin.«
»Warum sollte ich mich freuen?«
»Weil ich die Klappe halte, wenn ich nachdenklich bin.«
»Und traurig.«
»Ich bin nicht traurig.«
»Sondern?«
Sie erzählte ihm, was los war, denn er würde ohnehin nicht lockerlassen, wenn sie es nicht täte.
»Es steht dir besser, wenn du Vaudeville bist«, sagte er abschließend.
»Ich weiß.« Sie setzte sich auf einen der gemütlichen Stühle in der Leseecke neben der riesigen Yuccapalme. »Hast du einen Rat, weiser Mann?«
»Lächle und vergiss es«, sagte Mica.
»Ist das dein Rat?«
»Eine chinesische Weisheit.«
»Die Lösung eines jeden Problems?«
»Es ist nur ein Problem, wenn du es als solches siehst.«
Faye seufzte. »Hast du noch einen Rat? Einen, der hilft?«
Mica kam zu ihr und nahm auf dem anderen Stuhl Platz. »Kennst du die Geschichte von der Katze und der Ratte?«, fragte Mica. Er saß kerzengerade, wie auf der Matte beim Yoga.
»Nein.«
Er lächelte. »Dachte ich mir.«
»Erzählst du sie mir?«
Mica wurde ernst. »Ein Bauer hatte eine Ratte in seinem Haus«, begann er.
»Ist das so eine Shaolin-Geschichte?«
»Unterbrich mich nicht.«
»Okay.«
Er schüttelte den Kopf, dann fuhr er fort: »Weil er die Ratte, die nachts viel Lärm machte, die Vorräte fraß und ihn mit ihrer Gegenwart nervte, so schnell wie möglich loswerden wollte, kaufte er sich eine junge Katze.«
»Eine Shaolin-Katze.«
Mica funkelte sie an. »Willst du die Geschichte nun hören oder nicht?«
Faye versiegelte ihre Lippen mit einer flinken Handbewegung. »Kommt nicht wieder vor«, versprach sie.
Mica nickte ruhig. »Die junge Katze hatte Pech«, fuhr er fort, »die Ratte war einfach schneller als sie. Die nächste Katze, musst du wissen, war sehr schlau und geschickt, aber auch ihr war die Ratte überlegen. Sie zeigte sich nur dann, wenn die Katze schlief.« Er strich sich über die Augenbrauen. »Schließlich nahm der Bauer eine Katze aus einem Shaolin-Kloster.«
»Eine Kampfsportkatze.«
»Faye Archer!«
»Shaolin-Mieze.«
Mica warf ihr einen strafenden Blick zu.
»Sorry«, sagte Faye kleinlaut. Sie hatte sich die Bemerkungen einfach nicht verkneifen können.
»Die Katze«, begann er mit dem Ende der Geschichte – Faye hatte ein Gespür dafür entwickelt, wann sich Mica Sagongs Geschichten ihrem Ende zuneigten –, »war sehr alt und müde. Sie schlief die meiste Zeit. Die Ratte konnte tun und lassen, was sie wollte. Jeden Tag schlief die Katze, und die Ratte lief an ihr vorbei. Sie wurde frech.« Hier sah er Faye tief in die Augen, und Faye senkte höflich und schuldbewusst den Blick. »Doch dann, eines Tages …« Hier hielt Mica inne und sah Faye erneut eindringlich an. »Eines Tages, als die Ratte an ihr vorbeilief, da schlug sie zu.« Er klatschte schallend in die Hände, und Faye zuckte unwillkürlich zusammen. »Mit einem einzigen Hieb streckte sie die Ratte nieder.«
Eine kurze Pause entstand.
»Genau das muss dein Alex tun. Schreib ihm das.«
»Er soll schlafend eine Ratte erschlagen?«
Mica warf ihr einen missbilligenden Blick zu. »Genau, Faye Archer. Schreib ihm, dass er eine Ratte erschlagen soll. Sag ihm, dass dir dein Shaolin-Chef diesen Rat gegeben hat. Würdest du das für mich tun?«
Faye nickte. »Klar doch.«
Mica lächelte wissend, dann verkündete er ernst: »Alles hat seine Zeit. Man muss nur Geduld aufbringen und auf den richtigen Augenblick warten. Und wenn er dann kommt, muss man schnell sein und zuschlagen.«
Sie nickte. » Das werde ich ihm schreiben.«
Mica erhob sich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, und ging nach hinten ins Kabuff. »Mach noch ein wenig Karma-Yoga, und dann schließen wir«,
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