Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
Ende eines langen Ganges, gleich in der Nähe der Garderobe. Faye hatte schnell die Orientierung verloren in dem Halbdunkel. Sie tastete sich vorwärts, immer eine Hand an der Wand. An der Garderobe selbst war wenig los. Ein Student kümmerte sich um die Klamotten. Er lächelte Faye zu, als sie an ihm vorbeikam. Sie schenkte ihm umgekehrt auch ein nettes Lächeln und genoss das gute Karma, das für einen Moment in der Luft lag.
Dann steuerte sie auf die Damentoilette zu, öffnete die Tür und trat ein.
Nichts los hier drinnen. Vermutlich war dieser Ort der Geheimtipp des Clubs. Die Räume waren hell erleuchtet, aber ähnlich labyrinthisch wie die Gänge, die zu ihr hinabführten.
Faye fragte sich, welche Funktion diese Räume früher gehabt hatten, damals, als das alles noch ein E-Werk gewesen war. An den Decken liefen Rohre entlang, die in einem sanften Gelb und Orange gestrichen waren. In den Nischen in den Wänden saßen Shiva-Figuren in den klassischen Posen – kein einziger Buddha auf der Damentoilette. Duftkerzen in Gläsern verströmten eine exotische Wärme. Die Waschbecken mit den Spiegeln befanden sich in einem großen, offenen Raum, der sich zur Linken erstreckte und getrennt war von den Kabinen. Die beiden Frauen standen vor den Spiegeln und waren mit sich selbst und ihrem Make-up beschäftigt. Sie hoben kurz den Blick und registrierten aus dem Augenwinkel, dass sich noch jemand im Raum befand, doch kümmerte sie Fayes Anwesenheit weiter nicht. Gut so.
Faye beeilte sich, schlüpfte durch den Gang, stahl sich in eine der Kabinen, verriegelte die Tür hinter sich, prüfte gewissenhaft, ob sie wirklich verschlossen war, und lauschte. Die Akustik war gut, die Wellen aus sonniger Musik und dumpfen Beats kaum mehr als ein weit entferntes Rauschen, irgendwo ein Stockwerk weiter oben. Hier unten war es angenehm ruhig. Faye schloss leise den Deckel der Toilette und setzte sich darauf.
Die zwei Frauen waren klar und deutlich zu verstehen. Okay, dachte Faye und konzentrierte sich auf die beiden Stim men.
»Ihr seid nicht verabredet?«, fragte die eine gerade.
»Er trifft sich heute mit Harry.« Das musste Alex Hobdons Freundin sein. Die Stimme passte zu ihr.
»Harry Wheeler?«
»Ja. Männerabend. Die beiden stranden später am Abend immer hier.«
Faye nahm höchst missbilligend zur Kenntnis, dass sie Alex wohl sehr gut zu kennen schien.
»Was ist denn jetzt mit Alex und dir?«, hörte sie die Stimme der Freundin.
»Gute Frage.«
»Und?«
»Wenn ich das nur wüsste.«
Schweigen.
Etwas fiel ins Waschbecken, ein Lippenstift womöglich, Plastik auf Porzellan.
»Komm schon, du weißt genau, was los ist.«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Hey, wen willst du belügen?«
Erneutes Schweigen, diesmal aber nur kurz.
»Vorgestern hat er jemanden gesehen.«
»Seine Ex?«
»Nein.«
» Eine Ex?«
»Glaube ich nicht.«
»Du glaubst es nicht?«
»Er erzählt nicht viel über sie.«
»Ooh, das ist schlecht.«
»Auf Kommentare wie den kann ich verzichten.«
»Ist aber doch so. Alex quasselt normalerweise viel. Das weißt du selbst am besten. Fakt ist Fakt.«
Ein Seufzen, langgezogen, ehrlich. »Okay, okay, er hat mir nicht gesagt, wie sie heißt. Wie es aussieht, hat er sie vor ein paar Jahren kennengelernt.«
Faye zog die Stirn kraus. Vor ein paar Jahren? Was hatte Alex ihr da erzählt?
»Also doch eine Ex«, schlussfolgerte die andere.
»Nein, sie waren nicht zusammen.«
»Sondern?«
»Sie haben sich einfach nur kennengelernt, und dann haben sie sich ganze vier Jahre lang nicht mehr gesehen.«
»Sie haben sich einfach nur kennengelernt?«
»Das hat er gesagt.«
Vier Jahre? Faye wusste nicht, was sie davon halten sollte. Vor vier Jahren hatte sie nicht einmal gewusst, dass es jemanden namens Alex Hobdon gab!
»Das klingt nicht gut.«
»Zoe!«
»Jennifer Towles«, sagte Zoe bestimmt, »du bist eine erwachsene Frau. Alex gehört dir. Also mach dir keine Gedanken.«
Jennifer Towles. Vortrefflicher Name. Faye spürte erneut, wie wütend sie wurde. Zugleich schalt sie sich insgeheim selbst. Dies ist das Ende dieser Angelegenheit, nicht der Anfang. Also stell dich nicht so an, hörst du!
»Er ist so komisch seit gestern, finde ich.«
»Inwiefern?«
»Er denkt an sie.«
Faye spürte, wie sich ein zufriedenes Grinsen in ihrem Gesicht breitmachte.
»Hat er das gesagt?«
»Was glaubst du denn, hm?«, entgegnete Jennifer Towles, diesmal so richtig entnervt. »Das hat er natürlich nicht.«
Eine
Weitere Kostenlose Bücher