Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
man einfach nur die Musik des Augenblickes erleben muss. Die alte Kassette indes behielt sie weiterhin.
Am Mittwoch dann meldete sich Jermaine Lamond von der Factory. Er rief Faye im Laden an und teilte ihr mit, dass ihr Konzert so gut wie ausverkauft war. – »Okay, wir bestuhlen den Schuppen, es gehen also weniger Leute rein als sonst. Muss aber sein wegen der Atmosphäre.«
Faye war zufrieden. »Du hast die Filmausschnitte für den Beamer seit heute in der Mail.« Das hatte sie noch in der Nacht erledigt.
»Perfekt«, meinte Jermaine, »ich bin sicher, das läuft.«
Nicht mehr lange, und sie würde zu Holly Go! werden, von Kopf bis Fuß. Die Welt würde schwarz-weiß, und danach, das wusste sie, würde alles anders sein. Auf der Bühne zu stehen war wie neu geboren zu werden. Es war aufregend, jedes Mal aufs Neue, und sie hatte es schon viel zu lange nicht mehr gemacht.
»Samstagvormittag machen wir den Soundcheck«, schlug Jermaine vor. »So gegen zehn. Was sagst du?«
»Das Klavier ist da?«
»Wir haben ein Bösendorfer für dich.«
Faye klatschte am Telefon vor Begeisterung in die Hände und stieß einen Freudenschrei aus.
»Brauchst du sonst noch was?«
»Nur eine Ukulele. Die bringe ich mit.« Faye freute sich auf den Samstag.
Das Schöne an diesem Programm war, dass sie ganz frei war. Allein aufzutreten war wie der Sommer. Man geht mit leichten Kleidern nach draußen, spürt den Wind und die Luft auf der Haut, alles erscheint unbeschwert. Die Proben mit der Band fallen weg. Wobei sie natürlich hoffte, dass Cory oder Rantz vorbeischauen würden. Die gemeinsame Arbeit würde zwar erst im Frühjahr fortgeführt, aber man konnte ja nie wissen, ob die Jungs einen vermissten. Vince, der Mann am Bass, war mit seiner neuen Freundin übers Wochenende oben in Providence. Wenigstens einer, der frisch verliebt und glücklich war. Es gab auch noch Beziehungen, die nicht kompliziert waren, und das immerhin machte doch Hoffnung.
»Ich bin pünktlich da«, versprach Faye Jermaine zum Abschied.
Ja, sie konnte es wirklich kaum erwarten. Nach all dem Hin und Her mit Alex war das Konzert die Abwechslung, die sie brauchte, um wieder zu sich selbst zu finden.
Donnerstagabend komponierte sie, aus einer guten Laune nach dem Duschen heraus, ein weiteres Lied, einen lustigen Bossa nova. Sie würde dazu die Maracas einpacken, und der Titel gefiel ihr: »Vinyl, Sex and Videotapes«. Den Refrain schrieb sie noch vor dem Einschlafen, die Strophen erst am Freitagmorgen, eine vor der Arbeit, den Rest in der Mittagspause.
Anschließend konnte sie es sich nicht verkneifen, noch einmal bei J & J anzurufen. John Babel meldete sich.
»Die Setlist steht«, verkündete Faye.
»Die Filme laufen«, antwortete John. Jermaine war gerade unterwegs.
Was wollte man mehr? Das Leben war ganz unerwartet wieder wunderschön. Alles schien der Anfang von etwas zu sein und nichts das Ende. Oh, Mann! Das war so faszinierend am Leben. An manchen Tagen passierte es einem einfach.
Faye Archer lächelte strahlend und aus tiefstem Herzen.
11
Gestern war für die Woche ihr letzter Arbeitstag gewesen. An diesem Samstag, dem Tag des Konzerts, hatte Mica ihr freigegeben.
»Du musst dich auf das Wesentliche konzentrieren«, hatte er ihr Freitagmittag geraten, und zwar nachdem er ihr mitgeteilt hatte, dass Alex ein weiteres Mal im Laden vorbeigekommen war. »Er ist hartnäckig«, hatte Mica festgestellt.
»Was hat er gesagt?«
»Er hat nach dir gefragt, das ist alles.«
Faye war am Vormittag ganz kurz in Williamsburg bei Jermaine Lamond in der Factory vorbeigesprungen. John Babel und er hatten den Soundcheck eigentlich am Samstag machen wollen, dummenweise aber einen Termin vergessen, und so schaute Faye eben am Freitag schon vorbei. Deswegen aber war sie eine Weile weg gewesen, und so hatte sie Alex Hobdon schon wieder verpasst.
»Egal«, hatte sie geantwortet und es tatsächlich so gemeint.
Mica hatte nichts dazu gesagt. Natürlich war Faye irgendwie neugierig gewesen und begierig darauf zu erfahren, was in aller Welt ihn schon wieder in den Laden getrieben hatte. Andererseits war die Sache vorbei. Es gab jetzt Wichtigeres, worüber sie nachdenken musste. So einfach war das. Vermutlich war es nur Alex Hobdons riesengroßes Ego, das sich die Abfuhr nicht eingestehen wollte und ihn deswegen ins Real Books trieb. Sie war ihm davongelaufen und einfach so zu einem völlig Fremden ins Taxi gesprungen. Zu einem Fremden, der noch dazu teuflisch gut
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