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Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle

Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle

Titel: Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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aussah und unter Rekruten »kalter Kalle« genannt wurde. Die beiden Freunde mussten nun zur Täuschung der Wärter in ihren Zellen ebendiesen, einem schlafenden Mann gleichenden Kalle zurücklassen, damit ihre Flucht nicht bemerkt würde.
    Eines Nachmittags sagte Sorjonen zu Lauri, dass er, falls es in der kommenden Nacht nicht regnete oder stürmte, die Fensterluken draußen vor ihren Zellen öffnen und ein paar Mal mit der Faust an die Holzlade klopfen würde zum Zeichen, dass der Weg in die Freiheit geebnet sei.
    »Zieht euch vorher warme Sachen an und legt den Kalle in euer Bett«, riet der Doktor.
    Er erläuterte noch, dass sich die Luken fast zwei Meter über der Erde befänden. Wenn die Flüchtlinge also draußen im Dunkeln hinunterspringen würden, sollten sie aufpassen, dass sie sich nicht die Gräten brachen. Sie sollten sich hinunterfallen lassen wie Katzen oder so, wie es Fallschirmspringer taten, elastisch in den Knien federnd, dadurch kämen sie auch im Stockdunkeln sicher auf dem Boden an. Die Taschenlampen sollten sie zunächst einmal nicht benutzen, damit kein Stadtbewohner argwöhnisch würde. Erst wenn sie den Stadtrand erreicht hätten, dürften sie die Lampen anknipsen und in ihrem Licht nach dem Pfad suchen, der nach Südwesten führte. Diesem Pfad sollten sie folgen und dabei sorgfältig die Karte studieren, sie sollten sich zügig von der Stadt weg und nach unten ins Tal bewegen, dort könnten sie die erste Ruhepause einlegen. Falls sie Hundegebell und die Rufe von Soldaten hören würden, sollten sie sich schleunigst weiter von der Stadt entfernen, im Bedarfsfall in ein bewaldetes Tal laufen und sich dort verstecken, indem sie auf hohe Bäume kletterten. In eine Höhle zu kriechen wäre nicht ratsam, denn die tibetischen Fährtenhunde würden sie dort garantiert rasch aufspüren, und die chinesischen Soldaten würden den Rest besorgen. Die Köter hatten jedoch insofern schlichte Gemüter, als sie, wenn sie die Spur unter einem Baum verloren hatten, bei der weiteren Suche verzweifelt im Kreis liefen, der immer größer wurde, bis sie schließlich das Interesse verloren. Wenn die Soldaten dann eintrafen, war die Beute bereits im Dunkel des Tales entkommen. Oben im Baumwipfel müssten sich die Flüchtlinge natürlich mucksmäuschenstill verhalten und nicht etwa Tannenzapfen nach den Hunden werfen, mahnte Sorjonen zum Schluss.
    In der folgenden Nacht wurden die Fensterluken von außen geöffnet, und mehrmaliges Pochen war zu hören. Doktor Sorjonen war draußen am Werk und leitete die erste Phase des Fluchtplans ein. Lauri und Kalle hatten die Figuren in ihren Betten geformt. Sie hatten sich außerdem warme Kleidung angezogen und stopften in die Taschen ihrer Anoraks alles, was sie besaßen: die Taschenlampen und Landkarten, ein paar Brotkanten, die sie sich von den Mahlzeiten abgespart hatten, ihre Pässe und Brieftaschen sowie persönliche Kleingegenstände wie Kämme und Zahnbürsten. Dann schoben sie sich mit den Füßen voran in die Fensternischen, die durch die dicke Mauer führten. Mächtig eng war es, und nur mit Mühe gelang es ihnen, bis nach vorn zur Luke zu kriechen, wo sie nach langer Zeit erstmals wieder frische Luft atmen konnten. Sie hielten sich zunächst an den Fensterläden fest und ließen sich dann nach unten fallen, wobei sie versuchten, den Aufprall zu mildern, indem sie wie Fallschirmspringer in den Knien abfederten. Die Landung klappte gut, und sie bemerkten, dass es eine mondhelle, klare Nacht war. Es war windstill, und bald hatten sich ihre Augen an das Mondlicht gewöhnt.
    Äußerst leise bewegten sich Lauri und Kalle in die Richtung, die Sorjonen ihnen empfohlen hatte. Sie blieben im Schutz der Hauswände und schlichen auf diese Weise durch die schmalen, mit Kopfsteinen gepflasterten Straßen zum Stadtrand. Vom Zentrum her war das traurige Bellen eines einsamen Hundes zu hören, aber es klang nicht bedrohlich, das Tier kläffte einfach zum Zeitvertreib vor sich hin. Am Rand von Lhasa wagten es die Flüchtlinge, für einen Moment ihre Taschenlampen anzuknipsen, um nach dem Gebirgspfad zu suchen, der ins Tal führte. Bald hatten sie ihn gefunden und konnten ihre Flucht fortsetzen.
    Der Mond beschien die an steilen Hängen klebenden uralten Steinhäuser der Hauptstadt. Im Hintergrund legte sich kaltes weißes Licht auf die Gipfel der schneebedeckten Berge, das Ganze wirkte wie ein romantisches Gemälde. Kalle flüsterte, dass er noch nie im Leben eine so magisch schöne

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