Die wundersame Reise einer finnischen Gebetsmühle
Landschaft gesehen habe. Auch Lauri fand diesen Anblick bei Weitem schöner als den der muffigen Zelle.
Es war jedoch nicht die Zeit, die tibetische Gebirgslandschaft zu bewundern, sie mussten ihren Weg fortsetzen. Der Pfad war nur einen oder zwei Meter breit. An den abschüssigsten Stellen waren in seinen felsigen Untergrund Stufen gehauen worden. Die beiden Männer kamen nur langsam voran, aber sie hatten keine Eile, denn ihre Flucht war zumindest bisher nicht bemerkt worden und sie hatten keine Verfolger auf den Fersen. Mit einigem Glück, so vermuteten sie, könnten sie in den frühen Morgenstunden den von Sorjonen eingerichteten Stützpunkt erreichen. Dort warteten bessere Kleidung, Bergschuhe, ein Seil, Proviant und andere im Gebirge benötigte Gegenstände.
An einem steilen Hang rief Lauri plötzlich:
»Ist die Gebetsmühle etwa noch in der Zelle?«
Kalle lachte beruhigend:
»Nein, natürlich nicht, ich habe sie mitgenommen, auf so einer gefährlichen Flucht kommen wir schließlich nicht ohne sie aus.«
Lauri wunderte sich, wie es Kalle gelungen war, den Kasten von der Größe einer alten Kaffeemühle aus dem Kloster herauszuschmuggeln, passte der doch weder in die Seiten- noch in die Brusttasche des Anoraks und schon gar nicht unter den Hosenbund.
Kalle sagte, dass er die Zähne in den Riemen des Futterals geschlagen und das Ding so mit sich gezerrt habe.
»Ich überlasse schließlich nicht unseren einzigen geistlichen Beistand den Chinesen.«
»Wir haben ja das Weltall, das wir um Beistand bitten können«, meinte Lauri.
»Stimmt, Schutz von oben genießen wir«, bestätigte Kalle.
Im Schein des Vollmondes und zweier starker Taschenlampen trabten die beiden über den Bergpfad und entfernten sich immer weiter von Lhasa. Hin und wieder hörten sie Geplätscher und überquerten kleine Gebirgsbäche, sie tranken klares, kaltes Wasser und marschierten weiter. Gelegentlich zogen sie Karte und Kompass zurate und überprüften die Richtung. Da sie sich im Hochgebirge befanden, schlug die Nadel oft kräftig aus – die magnetischen Kräfte der hohen Berge störten den Zeiger. Trotzdem konnten sie gut die Richtung halten, denn der Pfad führte konsequent nach Südwesten, umging lediglich die höchsten Berggipfel.
Gegen Morgen ging der Mond langsam unter und verschwand schließlich hinter den Bergen. In den Tälern breitete sich Dunkelheit aus, und die Wanderer machten eine Ruhepause. Sie wurden langsam müde, und das war kein Wunder, denn sie waren bereits vier, fünf Stunden unterwegs. Bald würden sie Sorjonens Stützpunkt erreichen. Sie verglichen den Verlauf des Pfades mit der Karte und den darin verzeichneten Markierungen. Alles schien zu stimmen. Bei Sonnenaufgang erreichten sie das Vorratslager, das sich genau an der Stelle befand, die in der Karte verzeichnet war: neben dem Pfad unter einer kleinen Brücke.
Doktor Sorjonen hatte, vermutlich mithilfe eines Trägers, zwei vollgepackte Wanderrucksäcke ins Gebirge geschleppt. Die Flüchtlinge holten sie aus dem Versteck, stellten sie auf die Brücke und öffneten sie. Der Inhalt war überwältigend! Die Rucksäcke enthielten warme Pullover für beide, dazu derbe Wanderschuhe, zwei Bündel starkes Seil, leichte Hacken, eine kleine Axt, zwei Messer mit langer Klinge, zwei Paar Lederfäustlinge und mehrere Stoffbeutel für Kleinbedarf. Als Proviant hatte Sorjonen zwei Kilo gekochten Reis besorgt, dazu Gemüse und zwanzig Notrationen der internationalen Hilfsorganisation, wie sie wahrscheinlich an hungernde Menschen in Krisengebieten verteilt wurden. Außerdem waren da noch stattliche Stücke Ziegenkäse und gepökeltes Yakfleisch, einige Tafeln Schokolade und als Krönung eine große Flasche mit chinesischem Reisschnaps. Die Flüchtlinge schraubten die Flasche auf und nahmen jeder einen tüchtigen Schluck. Und Lauri sagte mit vor Dankbarkeit zitternder Stimme:
»Das gnädige Weltall sei mit Doktor Sorjonen!«
19
Am nächsten Tag tauchte der chinesische Militärhubschrauber über dem Pfad der Flüchtlinge auf. Wahrscheinlich hatte man versucht, die kalten Kalles zum Frühstück zu wecken, und dabei die Flucht entdeckt. Nun war die Suche angelaufen, aber Lauri und Kalle hatten sich schon zu weit von Lhasa entfernt. Sie versteckten sich im Gebüsch, sodass der Späher im Helikopter sie nicht sah, und als die Maschine davongeknattert war, setzten sie ihren Weg fort. Der Pfad war jetzt breiter, der Untergrund war hart, sodass es sich gut laufen ließ.
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