Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Zähne.
»Dies ist nicht die Vergangenheit. Es ist die kommende Welt.«
Mir stockt der Atem.
Der Fremde steht mit einer so fließenden Bewegung auf, dass es für eine Sekunde den Anschein hat, als bestünde sein Körper aus Wasser.
Er geht vor mir über den Weg, der von der Lichtung fortführt.
Wir wandern schweigend, während um uns herum der Wald von Leben erzählt. Ich höre das Zwitschern von Vögeln, die ich nicht identifizieren kann, und das Zirpen von Insekten.
Alles ist so wundervoll, dass ich vor Glück weinen könnte.
Der junge Mann dreht sich um.
»Du hast keinen Grund, Tränen zu vergießen. Dies alles existiert noch nicht. Und doch ist es schon da.«
»Wie meinst du das?«
»Schon gut. Derzeit möchte ich nur, dass du siehst.«
Mit diesen Worten streicht er einen Zweig beiseite wie den Eingang eines Zeltes, und was ich sehe, ist wundervoll. Absolut wundervoll.
Am Fuße des niedrigen Hügels, auf dem wir stehen, liegt ein blauer See, gesäumt von niedrigen, moosbewachsenen Klippen mit erstaunlich regelmäßiger Form.
Auf dem See sind kleine Segelboote unterwegs, auf denen sich winzige Gestalten bewegen. Andere stehen auf den Klippen und winken. Ich kann sie nicht genau erkennen, denn sie sind klein wie Insekten, aber es scheinen Menschen zu sein. Nur die Farben sind seltsam.
»Ich hoffe, du bist kein Rassist«, sagt der junge Mann lachend, als er meine Gedanken liest.
»In den letzten Tagen habe ich so viele sonderbare Dinge gesehen, dass ich nicht einmal mehr genau weiß, was ›Mensch‹ bedeutet. Ich habe einen Mann kennengelernt, ein Wesen …«
»Nenn ihn ruhig ›Mann‹. Für uns ist das keine Beleidigung.«
Ich schüttele den Kopf.
Im Traum – in dem, was ein Traum sein muss, obwohl ich mir da nicht mehr ganz sicher bin – ist es eine langsame Bewegung, wie unter Wasser.
»Die Kirche lehrt uns, keine Unterschiede zwischen den Menschen zu machen. Im Wesentlichen unterscheiden wir nur zwischen Gut und Böse.«
»Richtig. Und wo hast du in letzter Zeit Gutes gesehen?«
»Eher bei den Geschöpfen, die wir ›monströs‹ nennen, als bei uns Menschen«, antworte ich mit einem Seufzen.
»Erzähl mir von dem Mann, den du kennengelernt hast.«
»Wir haben ihn Gregor genannt. Gregor Samsa, nach der Erzählung von Kafka.«
»Ich bin mit ihr vertraut.«
»Natürlich bist du das. Immerhin steckst du in meinen Gedanken. Du weißt alles, was auch ich weiß.«
»Das ist nicht ganz richtig, aber sprich nur weiter. Mich interessiert, was du zu sagen hast. Erzähl mir von Gregor.«
»Sie haben ihn Scheusal und Monster genannt, aber wir haben nur Gutes von ihm erfahren. Jetzt weiß ich nicht mehr, auf welcher Seite das Gute zu finden ist. Auf welcher Seite ich stehen sollte.«
»Das kommt auf dich an. Die Wahl liegt bei dir.«
»Da bin ich mir nicht sicher. Ich bin mit einer Mission beauftragt, aber ich fürchte, sie hat überhaupt keinen Sinn mehr.«
»Was hältst du davon, wenn wir zum Ufer hinuntergehen?«
Ich begleite ihn. Wir folgen dem Verlauf des Pfades, der zum See führt. Besonders steil ist er nicht. Gelegentlich rutschen meine nackten Füße über etwas, das sich unter dem Kies befindet.
Der junge Mann bückt sich, wischt Steine und Staub von etwas, das sich als eine marmorne Stufe herausstellt, die recht alt zu sein scheint.
Dann richtet er sich wieder auf.
»Was du hier siehst, war einst die stolze Stadt Moskau. Die Treppe, auf der wir stehen, gehörte einmal zur Staatsbibliothek. Ich hätte dir Washington zeigen können, aber du hättest die Stadt nicht wiedererkannt. Und es wäre grausam gewesen, dir dies zu zeigen …«
Bei dem Wort »dies« verändert sich die malerische Szene vor meinen Augen. Ein transparentes Bild scheint sich vor Wald und See zu legen, und es präsentiert mir eine Stadt aus meiner Zeit, voller Leben und Verkehr. Die Klippen … Sie verwandeln sich in intakte Gebäude.
Dann erscheint ein Licht über der Stadt.
Etwas pfeift, und unmittelbar darauf kommt es zu einer gewaltigen Explosion.
Feuer und eine enorme Druckwelle zerstören alles. Hitze schmilzt Glas und Stein.
Dunkelheit breitet sich aus, und eine gespenstische Stille, unterbrochen nur von fernem Donnern und dem Prasseln der Feuer.
Schließlich geht schwarzer Regen nieder, der aus großen Tropfen besteht, eine Mischung aus Wasser und Staub.
Und nach dem Feuer kommt die Kälte.
Ewiger Frost zieht über die zerstörte Stadt, hüllt Asche und Ruinen in Schnee und Eis.
Autowracks
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