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Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tullio Avoledo
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Durand.
    Die Augen des Hauptmanns schauen wachsam, auch das eine halb zugeschwollene. Der Schlag, der ihm die Braue aufgerissen hat, muss furchtbar gewesen sein. Jemand hat die Wunde mit Nylonfaden genäht, aber sie ist schmutzig und entzündet.
    Hinter Durand sehe ich Bitka und Bune.
    Durand bewegt die Lippen und schüttelt den Kopf. Nicht sprechen.
    Ich nicke und schließe die Augen.
    Wie gern hätte ich noch einmal Gregor Samsas geistige Stimme gehört. Aber in meinem Kopf höre ich nur meine eigenen Gedanken, keine fremden.
    Die Kirche hat mich gelehrt, dass der Mensch mehr ist als seine Hülle, dass seine Seele ewig ist. Aber der Glaube daran fällt mir schwer, während ich nackt auf dem kalten Boden liege und es nach Blut und Scheiße stinkt. Nach einer Weile muss auch ich Wasser lassen, und das Gefühl des warmen Urins, der mir über die Beine strömt, ist fast angenehm. Dann empfinde ich Scham, der Müdigkeit folgt, und die Müdigkeit führt zum Schlaf, und der Schlaf zu Visionen.
    Diesmal erscheint mir nicht die Frau in Blau, Alessia.
    Diesmal sind es nicht ihre geheimnisvollen Worte, die ich höre.
    Ich träume von einem Wald so gewaltig, dass er endlos scheint. Es ist Tag, aber ich habe keine Angst. Ich bin aufgeregt – seit zwanzig Jahren habe ich keinen Baum gesehen. Eines von Maxims Fotos zeigt einige, in einem Park von Paris, im Herbst. Die Gewissheit, dass jene Bäume Asche sind, tut mir tief in meinem Herzen weh.
    Aber hier im Traum – in einem Traum, der mir wirklich erscheint – leben die Bäume, ihre Wipfel rauschen im Wind, und ich nehme sogar ihren Geruch wahr.
    Ich wandere über einen Pfad, der durch den Wald führt. Kein einziges Kleidungsstück trage ich am Leib, friere aber nicht. Vom Kies unter meinen bloßen Füßen kommt ein Geräusch, das nach einem leisen Lachen klingt. Ich stelle mir dabei ein japanisches Mädchen vor, das hinter vorgehaltener Hand kichert.
    Der Pfad duftet nach Kiefern und Tau. Das Licht der Sonne glitzert durch die Wipfel zu mir herab. Nebelfetzen hängen zwischen Sträuchern und Büschen.
    Der Wald ist voller Leben. Ich fühle es um mich herum, höre seine Geräusche: hier ein Rascheln im Gestrüpp, dort das Knacken eines Zweigs.
    Ich wandere und streiche dabei fast zärtlich über nahe Äste. Einmal strecke ich die Hand nach einer perfekten Erdbeere aus, doch im letzten Augenblick zögere ich und lasse die Frucht an ihrem Platz.
    Etwas – eine Art kosmisches Lächeln; ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen soll – reagiert mit Freude auf meinen Verzicht. Vor mir führt der Pfad auf eine Lichtung, und dort formt der Sonnenschein einen fast perfekten Kreis, in dessen Mitte ein junger Mann sitzt.
    Im Lotossitz hat er Platz genommen, unbeweglich, den geraden Rücken mir zugewandt.
    Irgendwie weiß ich – ich spüre es –, dass er mich beobachtet, obwohl sein Gesicht in die andere Richtung zeigt und ich weiß, dass er die Augen geschlossen hat. Ich gehe um ihn herum, und als ich vor ihm stehe, öffnet er die Augen. Für einen Moment zieht sich mein Bewusstsein zurück, wie eine Schnecke in ihr Haus. Die Augen des jungen Mannes sind ganz weiß, und instinktiver Abscheu erfasst mich. Doch dann formen seine Lippen ein Lächeln, und der Ekel verschwindet.
    Der junge Mann hebt den Arm und bedeutet mir, mich ihm gegenüber hinzusetzen.
    Ich gehorche, als hätte ich einen Befehl erhalten.
    Die Haut des Fremden ist schwarz und glatt wie poliertes Ebenholz, bis auf eine Art Narbengeflecht, das auf seiner Brust ein komplexes Mandala bildet. Trotz der Hautfarbe scheint er mehr Asiat als Afrikaner zu sein. Als ich ihm wieder ins Gesicht sehe, sind seine Augen nicht mehr weiß und trüb, sondern blau und normal, soweit blaue Augen in einem schwarzen Gesicht normal sein können.
    »Ist es so besser? Ich wollte dich nicht beunruhigen.«
    Die Stimme ist ganz deutlich zu hören.
    »Ich wollte dich sprechen. Deshalb bin ich dir in deinem Traum erschienen. Dafür bitte ich um Entschuldigung.«
    »Ich dachte, dies sei der Traum.«
    »Das ist er, und auch wieder nicht. Er befindet sich irgendwo dazwischen. Das gilt für viele Dinge in dieser neuen Zeit. Gefällt dir meine Welt?«
    »Welche Welt?«
    »Die du um dich herum siehst.«
    »Das ist nicht deine Welt«, sage ich. »Es ist meine. Es ist die Welt der Vergangenheit. Und ich finde es grausam von dir, mir eine Welt zu zeigen, die nicht mehr existiert.«
    Der junge Mann schüttelt den Kopf. Sein Lächeln zeigt perfekte weiße

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