Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Fahrerkabine, schließt die Augen und spricht:
»Es kommt eine Zeit des dunklen Morgens, wenn sich der Himmel schließt und wie ein Leichentuch auf die Erde legt, auf das Grab der Menschenkinder. Und eine grausame Sonne wird die wenigen blenden, die durch Schlamm und Kälte kriechen. In jenen Tagen werden viele vom ›Ende der Welt‹ sprechen, denn die Tore der Hölle scheinen die Erde verschlungen zu haben, und die großen Wasser nähren nicht mehr das Leben, und die großen Wälder sind Asche. Ein mächtiger Wind wird Berge und Ebenen schütteln und den Staub forttragen, zu dem Menschen und Throne zerfallen sind. Und andere werden kommen, um die Erde für sich zu beanspruchen, andere, die ebenfalls Gottes Kinder sind, aber nicht die Kinder der Menschen …«
Diop schnaubt. »Verstehe. Die übliche Prophezeiung. Es gibt sie zu Tausenden. Ein früher Nostradamus, nur schlechter dran. Wahrscheinlich haben sie ihn in die Zelle gesteckt, weil er mit seiner Prophezeiung allen auf die Nerven ging.«
Bune schüttelt den Kopf. »Du bist zu ungeduldig. Der wirklich interessante Teil der Prophezeiung, wie du sie nennst – dieser Ausdruck stammt nicht von mir – kommt erst noch.«
»Na schön, hören wir uns auch den Rest an. Wir haben ohnehin nichts Besseres zu tun.«
»Mit diesen Augen habe ich die Leviathane aus Eisen aus dem Meer kommen sehen, wie sie Flammen auf die Städte der Menschen spuckten. Und ich habe Pfeile am Himmel gesehen, so groß, dass sechs Männer ihren Schaft nicht hätten umfassen können, und diese Pfeile trugen Feuer zu fernen Städten. Und die Menschen schrien und weinten, als eine schwarze Wolke entstand, die sich am Himmel ausdehnte und sein Blau für immer verschlang. Und ich habe die Kinder Gottes gesehen, die keine Kinder des Menschen sind, wie sie die Erde in Besitz nahmen, und es gab niemanden, der sie daran hindern konnte. Dann wird Gott …«
Bune schweigt.
»Was wird Gott?«, fragt Diop.
»Ich weiß es nicht. Der Text endet an dieser Stelle.«
»Einfach so? Gab es keinen Hinweis auf eine Fortsetzung? In der Art von ›zweites Kapitel in der nächsten Zelle‹?«
Durand hebt die Hand. »Schluss damit, Marcel. Hör auf.«
Bune schüttelt den Kopf. »Nein. Er hat recht. Ich bin es, der aufhören sollte. Es wird Zeit, dass wir entscheiden, was wir tun sollen, anstatt den Fantastereien eines Alten zu folgen. Entschuldigt.«
Er steht mit knackenden Gelenken auf. »Alt« bedeutet heutzutage nicht mehr viel. Ich habe Männer und Frauen kennengelernt, die mit dreißig schon verbraucht waren. Ohne Zähne, die Haare weiß oder ausgefallen. Unsere Welt verzeiht nicht. Andererseits bin ich auch einem Mann von achtzig Jahren begegnet, dem Ältesten in der Calixtus-Katakombe, und er schien zwanzig Jahre jünger zu sein. Dürr, kaum mehr als ein Strich, zäh und voller Autorität.
Alessandro Mori.
Der große Mörder.
Auf dem Totenbett ließ er nach einem Priester rufen. Seine Wächter verließen die Quartiere des Stadtrats und schnappten sich den ersten Priester, den sie fanden.
Mich.
Wie einen Gefangenen brachten sie mich zu ihm, ohne ein Wort der Erklärung.
Als wir den Bereich des Marktes durchquerten, wichen die Leute beiseite und wandten den Blick ab. Es war eine strenge Herrschaft gewesen, in den Jahren vor dem Eintreffen der Kirchensoldaten. Niemand stellte eine Frage; niemand hob den Kopf.
Sie brachten mich zu einer Metalltür fast so dick und schwer wie die am Ausgang der Katakomben. Hinter dieser ersten Tür, die auf ein Kennwort hin geöffnet wurde, gab es zwei weitere, beide von Bewaffneten bewacht.
In den Quartieren des sogenannten Stadtrats war die Luft besser, denn die Klima- und Luftumwälzungsanlage wurde hier ständig kontrolliert und gewartet. In den anderen Gewölben der Katakomben hingegen konnte es geschehen, dass Kranke oder Schwache an der schlechten Luft starben. Doch hier, hinter den drei dicken Türen, war die Luft gut und sogar warm.
Wir schritten durch lange, leere Korridore, ein in den anderen Quartieren der Calixtus-Katakombe unvorstellbarer Luxus. An den Wänden hingen alte Bilder, zum Teil mit so dunklen Farben, dass ihre Darstellungen nicht mehr erkennbar waren: Gesichter, mythologische Szenen, Kreuzigungen, Himmelfahrten … Manche Gemälde waren zerkratzt, bei anderen die Rahmen gebrochen. Wer auch immer sie hierher gebracht hatte, war nicht sonderlich behutsam gewesen, als er sie aus Museen und Kirchen holte.
Diese Zurschaustellung von Macht –
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