Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
schweige.
»Die beiden Herren dort drüben sind Soldat Guido Greppi und Korporal Marco Rossi«, sagt Hauptmann Durand.
Die beiden Männer sind sehr jung und bestimmt nach dem Krieg geboren.
»Ich dachte, die Schweizergardisten sind … nun, Schweizer «, sage ich.
»Früher einmal. Heute gestaltet sich die Suche nach Personal über solche Entfernungen hinweg recht schwierig. Aber wir sind noch immer international. Wie auch die Kirche. Daniels ist sicher kein italienischer Name.«
»Ich bin in Amerika geboren. In Boston.«
Ich sehe mich um und halte nach dem letzten Mitglied der Gruppe Ausschau.
In diesem Moment kommt der seltsamste Mann ins Zimmer, den ich jemals gesehen habe. Er knöpft sich den Hosenschlitz zu und summt dabei ein Lied, das ich nicht kenne.
»Entschuldigt. Wenn die Natur ruft …« Er grinst und lässt einen lauten Furz fahren.
»Entschuldigt«, sagt er noch einmal, in einem Ton, der keinen Zweifel daran lässt, dass es ihm überhaupt nicht leidtut.
Jeder sichtbare Millimeter der Haut dieses Soldaten ist von Tätowierungen bedeckt: Adler, Schlangen, Kreuze, Sterne und Kometen. Die Tattoos sind so blau wie seine Augen. Sein Alter ist schwer zu schätzen, aber ich denke, er ist so um die vierzig.
»Pater Daniels«, sagt der Hauptmann, »ich möchte Ihnen den gemeinen Soldaten Karl Bune vorstellen. Wenn er nicht so viele Disziplinarstrafen bekommen hätte, wäre er längst Major. Wie oft hast du unter Anklage gestanden, Karl?«
»Numerari non potest«, antwortet der Mann in fehlerfreiem Latein.
Öfter als ich zählen kann.
»Karl war Seminarist, bevor er zu etwas noch Interessanterem wurde. Die tätowierten Kreuze stammen aus jener Zeit, nicht wahr, Karl?«
Der Soldat schüttelt den Kopf. Die Drachen auf seinem kahlen Kopf scheinen sich dabei zu bewegen und aufsteigen zu wollen.
»Nee, Hauptmann. Die Kreuze kamen erst später. Die einzigen Tätowierungen aus jener unglücklichen Zeit zwischen den grauen Mauern sind die Kerben, die ich mir in den Schwanz geschnitten habe. Möchtest du sie sehen, Pfaffe? Möchtest du sie zählen?«
Durand richtet einen finsteren Blick auf ihn und deutet dann kurz zum Kardinal auf der anderen Seite des Raums.
»Oh, ich bitte um Entschuldigung, Eminenz. Verzeihen Sie diesem unwürdigen Sohn der Heiligen Römischen Kirche …«
»Du kannst heute Abend direkt beim Kardinal beichten«, schlägt Durand geheuchelt ernst vor.
Der Soldat krümmt sich wie bei einem Schlag zusammen. Er zittert, und vielleicht ist ein Teil davon nicht gespielt.
»Nein, Hauptmann, ich bitte dich. Es geschah auf einem Beichtstuhl, dass ich meine Jungfräulichkeit verlor. Sowohl die hintere als auch die vordere. Allerdings weiß ich nicht mehr, was zuerst verloren ging und was zuletzt.«
»Hör auf mit dem Quatsch und setz dich.«
Der Soldat gehorcht.
»Achten Sie nicht darauf. Bune ist ein Idiot. Und ein ausgemachter Lügner. Ob sie Ihnen gefällt oder nicht, Pater, dies ist die Truppe. Mit diesen Herren müssen Sie während der ganzen Reise klarkommen.«
»Vielleicht nicht während der ganzen …«, murmelt Feldwebel Wenzel, aber laut genug, damit ihn alle hören.
»Wie meinen Sie das?«, frage ich.
»Nun, es ist eine lange Reise. Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir es alle bis nach Venedig und wieder zurück schaffen.«
»Morituri te salutant!«, ruft Karl Bune, springt auf und streckt den Arm wie zum Hitlergruß.
Die Todgeweihten grüßen dich.
Ich betrachte die Wand hinter diesen Männern. Im Halbdunkel wirken die Farben der Fresken stumpf. Ein mit Heiligenschein dargestellter Apostel öffnet die Arme im Gebet. Die Schrift zu seinen Füßen ist nicht mehr zu entziffern. Luftfeuchtigkeit hat sie im Lauf der Jahrhunderte unleserlich gemacht und auch das Rot der Lippen des Heiligen verwischt. Dadurch scheint er sich in ein bösartiges Geschöpf zu verwandeln, in einen Dämon mit Blut am Mund.
Ich erschauere.
»Trinken Sie einen Schluck.« Karl reicht mir grinsend einen Becher, der nach Schnaps riecht, aus Kartoffeln gebrannt – das einzige hochprozentige Getränk, das hier unten allen zur Verfügung steht. »Jemand hat versucht, auch aus den hiesigen Pilzen Schnaps zu brennen, obwohl es verboten ist. Die Ergebnisse sollen bizarr gewesen sein, wie Jegor sagen würde. Nicht wahr, Jeg? Du weißt, wovon ich rede, oder?«
»Jegor sieht die Geister«, haucht er mir ins Ohr und schneidet eine Grimasse. Sein Atem stinkt nach Alkohol. »Jegor hört die Geister
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