Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
beiseite. Dahinter zeigt sich eine dunkle Tunnelöffnung.
Er tritt ohne zu zögern hinein, und ich folge ihm. Die Wände des Tunnels sind rau, und es riecht nach Erde und Rost.
»Ziemlich eng hier, nicht wahr?«, fragt Durand. Die Dunkelheit hat ihn verschlungen. »Wenigstens riskieren Sie hier nicht, sich zu verlaufen. Immer geradeaus. Bleiben Sie dicht an der Wand.«
Als ob etwas anderes möglich wäre. Meine Schultern sind nicht besonders breit, aber oft muss ich mich seitlich durch besonders schmale Stellen schieben.
Nach einigen Dutzend Schritten wird der Korridor breiter, bleibt aber stockfinster. Durand legt mir die Hand auf die Schulter und hält mich an.
Aus dem dunklen Nichts vor uns kommt eine Stimme. Sie erschreckt mich so sehr, dass ich zusammenzucke.
»Kennwort!«
»Homo homini lupus«, sagt Durand langsam und deutlich. Der Mensch ist ein Wolf für andere Menschen.
Mattes rötliches Licht erscheint vor uns. Ein Mann mit insektenhaftem Gesicht senkt den Lauf seiner Maschinenpistole.
»Hauptmann Durand.« Er salutiert.
»Einerseits finde ich deinen Eifer sehr lobenswert, Martini. Aber manchmal geht er mir echt auf die Nerven. Hast du mich nicht erkannt?«
»Es war ein Fremder bei Ihnen, Hauptmann.«
»Der Fremde ist Pater John Daniels, von der Kongregation für die Glaubenslehre.«
Das Licht ist sehr schwach, aber trotzdem erkenne ich die Verwirrung im Gesicht des Wächters.
»Die Heilige Inquisition«, erklärt der Hauptmann. »Erinnerst du dich? Willst du vielleicht auf dem Streckbrett enden? Oder auf dem Scheiterhaufen?«
»Nicht unbedingt, Hauptmann.«
»Dann präg dir das Gesicht dieses Mannes gut ein, Soldat Martini. Damit du dich daran erinnerst, wenn du es hier noch einmal siehst. Damit du diesem Mann nicht erneut einen solchen Schrecken einjagst.«
»Zu Befehl, mon capitaine .«
Als wir an dem Mann vorbeikommen, sehe ich, warum er so insektenhaft wirkt – er trägt ein Nachtsichtvisier. Und die Maschinenpistole in seinen Händen könnte man für die borstige Zange einer Gottesanbeterin halten.
Wir durchqueren den runden Raum. In dem rötlichen Licht erkenne ich Grabnischen, Statuen und Teile von Fresken. Hinter einem schwarzen Vorhang erwartet uns ein weiterer Tunnel, der nicht so eng ist wie der andere und ebenfalls raue Wände hat. Aus den kleinen Hohlräumen in den Wänden starren uns die leeren Augenhöhlen von unterschiedlich großen Totenschädeln an – sie stammen nicht nur von Erwachsenen, sondern auch von Kindern. Sie sind voller Staub, und an einigen Stellen bemerke ich die Reste von Stoff. Andere Nischen sind voller Spinnweben. Das seltsame Licht, das uns umgibt, erinnert mich an die Dunkelkammer eines Fotografen vor dem Leid: rote Lampen, damit der Film keinen Schaden nimmt, und die Abzüge im Entwicklungsbad. Natürlich wurden schon vor dem Krieg Fotografien nicht mehr entwickelt. Filme galten damals als überholt und veraltet, wie VHS-Kassetten. Aber manche Fotografen verwendeten sie noch. Wie der Vater von Mina, des Mädchens, das im Haus neben unserem wohnte. Ich erinnere mich an mein Staunen, als das weiße Blatt im Säurebad langsam dunkler wurde, als das Bild darauf Gestalt annahm. Auf ähnliche Weise zeigt uns das rötliche Licht nach und nach Einzelheiten der um uns herum ruhenden Toten.
Der Raum am Ende des Tunnels, hinter einer Metalltür, ist wie das Ende eines Albtraums. Er misst vier mal vier Meter, und das Licht in ihm ist normal, wenn auch schwach. In der Mitte steht ein metallener Tresen, und an der Wand dahinter ziehen sich Regale entlang, ebenfalls aus Metall. In diesen Regalen sehe ich Munitionskisten, Kleidungsstapel, Dutzende von Stiefeln, Feldflaschen und Messer. Weiter unten liegen Waffen aller Art.
Durand hebt die Hand und grüßt den Mann hinter dem Tresen. Er trägt die Abzeichen eines Feldwebels am Ärmel seiner Uniform und nimmt zackig Haltung an.
Früher kam es bei der Auswahl für die Schweizergarde auch auf die Größe an. Heute scheint das bei der Rekrutierung kaum mehr eine Rolle zu spielen, denn dieser Mann kann nicht größer sein als eins siebzig. Er hat ein breites Gesicht, wie ein Teller, auf dem eine stumpfe Nase, zwei kleine Augen und volle Lippen mit einem neckischen Lächeln serviert sind.
Der Hauptmann spricht ihn auf Deutsch an, in der Muttersprache eines unserer letzten Päpste. Ich habe sie zwei Jahre gelernt. Hier unten fehlt es uns gewiss nicht an Zeit, und Neues zu lernen vertreibt die Langeweile.
»Rühren,
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