Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Festung. Das Licht des Scheiterhaufens, auf dem Adèle verbrannt ist, fällt auf eine Szene, die aus der von Dante beschriebenen Hölle zu stammen scheint. Die Menschen geben auf, lassen ihre Waffen fallen und ergeben sich, aber die Angreifer verschonen sie nicht. Sie halten erst inne, als alle Männer, Frauen und Kinder blutüberströmt im Schnee liegen, bis sich nichts mehr rührt.
In der Stille ist nur das Knistern des Feuers zu hören, das Adèle, den Herzog und die anderen Toten auf dem Scheiterhaufen verschlingt.
Die Flammen ziehen meinen Blick auf sich, aber ich vermeide es, mir das anzusehen, was von Adèle übrig ist. Der Herzog hängt als eine Art verkohlter Fötus an seinen Ketten. Mit einem lauten Knacken bricht sein Kopf auf, und Dampf entweicht daraus. Der Schädel fällt in die Glut; Funken sprühen empor.
Ich fühle mich versucht, mir eine Kugel in den Kopf zu jagen. Die katholische Kirche verbietet den Selbstmord, hält ihn für eine Sünde, aber ich wäre bereit, mir das Leben zu nehmen, ohne einen weiteren Gedanken an Gut und Böse, Paradies oder Hölle.
Ich habe all diesen Tod satt. Ich habe genug davon, in einer Welt zu leben, die zu einem gewaltigen Friedhof geworden ist.
Aber meine Hand mit der Pistole … Sie bleibt unten. Sie bewegt sich nicht.
Wir sind wie Marionetten, deren Fäden jemand durchgeschnitten hat.
Es erklingt keine Stimme in unseren Köpfen.
Nichts lenkt uns ab.
Wir hören den Wind, wie er über die Toten streicht.
Wir sehen das, was von unseren beiden Geländewagen übrig ist.
Wir atmen die kalte Luft voller Gift und Strahlung.
Wir leben noch ein bisschen in diesem Reich des Todes.
Die Bewegungen der geflügelten Wesen wirken fast feierlich, alles andere als animalisch. Es sind intelligente Geschöpfe, ausgestattet mit sonderbaren Fähigkeiten. Wie ist es möglich, dass in zwanzig Jahren – in nur zwanzig Jahren – solche wundervollen und gleichzeitig furchtbaren Kreaturen entstanden sind?
DIE ZEIT , flüstert es hinter meiner Stirn.
DIE ZEIT IST NICHT SO BESCHAFFEN, WIE DU GLAUBST. SIE IST KEIN FLUSS, SONDERN EIN MEER.
»Warum habt ihr Adèle nicht gerettet? Warum habt ihr die Frau nicht vor dem Tod bewahrt? Ihr seid zu spät gekommen!«
DIE FRAU WAR DAS BÖSE. IHR SOLLTET NICHT UM SIE TRAUERN.
Die Stimme verschwindet aus meinem Bewusstsein, und ich höre ein lautes Rauschen.
Die Wesen schlagen mit den Flügeln und steigen auf.
Die Dunkelheit der Nacht, die sie kurz zuvor geboren hat, nimmt sie wieder auf.
Von einem Augenblick zum anderen.
Wie das plötzliche Ende eines Traums.
Wir sind allein.
Durand, Diop, Wenzel und ich. Und Bune, noch immer bewusstlos. Sein Gesicht ist fast so weiß wie der Schnee.
Mehr ist von der großen Expedition des Vatikans nicht übrig.
28
TROTZ ALLEDEM
Wir haben die Leichen nicht begraben können.
Das Licht des neuen Tages hat uns ins Gebäude zurückkehren lassen, in die leeren Zimmer und die Totenstille darin.
In den Ruinen von Rimini gibt es kein Leben mehr.
Was wir in der sogenannten Festung finden, erzählt von einer Gemeinschaft, der es relativ gut ging. Die Lager sind gefüllt, und ich habe plötzlich einen Kloß im Hals, als wir einen Raum betreten, der etwas größer ist als die anderen und ganz offensichtlich als Klassenzimmer diente. Von Kindern gemalte Bilder und eine Landkarte hängen an den Wänden. Auf der einen Seite gibt es sogar eine kleine Tafel.
Die Landkarte zeigt Staaten, die längst nicht mehr existieren.
Die Bilder berichten vom Leben innerhalb des Gebäudes. Bäume und Schmetterlinge, wie auf den Bildern der Kinder vor dem Tag des Leids, sind hier nicht zu sehen. Keine Tiere, kein Gras. Nicht einmal die Sonne.
Und doch sind es keine traurigen Bilder. Lebensfreude und Frohsinn kommen selbst in düsteren Impressionen von der Rattenjagd zum Ausdruck, in Kellern und Gewölben voller Spinnweben und mit einer Spinne wie Kankra aus Herr der Ringe . Jemand muss den Kindern die Geschichte von Achill erzählt haben, denn der griechische Held erscheint in mehreren Zeichnungen. Hintergrund ist allerdings nicht die Ebene von Troja, sondern ein Backsteingebäude mit lächelnden bewaffneten Männern an den Fenstern. Die seltsame Wölbung des Gebäudes weist mich darauf hin, dass das Kind, von dem dieses Bild stammt, die Festung gemalt hat, sein Zuhause.
»Bune geht es sehr schlecht«, flüstert Diop.
Ich habe ihn gar nicht gehört.
»Ich komme gleich runter«, erwidere ich.
Wir betrachten weiterhin
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