Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
fielen.
Angeblich kann man sie des Nachts unter der schneebedeckten Erde jammern hören. In dieser Nacht hören wir nur den Wind, aber der ist schaurig genug.
Durand klopft mir auf die Schulter und deutet nach vorn.
Bitka öffnet das Gitter, und Korporal Diop richtet seine Waffe nach rechts und links. Es ist keine Schmeisser, sondern eine weitaus modernere Waffe, mit einer auf dem Lauf montierten Taschenlampe.
Durand beugt sich vor und spricht dicht an meinem kalten Ohr.
»Wir haben keinen weiten Fußmarsch vor uns. Nur einige Kilometer. Bleiben Sie immer in der Mitte der Gruppe, und versuchen Sie, sich warm zu halten. Ist mit der Maske alles in Ordnung?«
Ich nicke.
Bitka öffnet das Gitter und winkt uns hindurch, während sein wachsamer Blick in die Dunkelheit gerichtet bleibt.
Wir verlassen den gesicherten Bereich. Wenzel und Bune bilden die Nachhut.
Es ist seltsam, draußen unterwegs zu sein. Ich habe so viel Zeit in der unterirdischen Welt verbracht, dass ich unter einem Himmel voller Sterne vermutlich einen Schock bekommen hätte. Aber sternenbesetzte Himmel gehören der Vergangenheit an.
Die dichten Wolken, aus denen klebriger Schneeregen fällt, scheinen die niedrige Decke einer Gruft zu sein. Manchmal denke ich, dass die Erde ein riesiges Grab geworden ist, das Grab der ganzen Menschheit, und dass die wenigen Überlebenden nur eine statistische Anomalie sind, der lächerliche Rest einer fast perfekt gelungenen mathematischen Operation.
In diesem Schneegestöber nützen uns die Nachtsichtgeräte nichts.
Wir gehen vornübergebeugt, mit eingezogenen Köpfen, wie in einem Tunnel. Ein Tunnel aus Finsternis und Kälte, jeder Schritt kann hier Gefahr bedeuten. Es gibt viele Geschichten über das Draußen. Wenn man sie in einem sicheren Quartier hört, kann man über sie lächeln und vielleicht sogar den Erzähler verspotten. Aber wenn man selbst draußen ist, sieht die Sache ganz anders aus. Hier ist man allein, allein mit der Dunkelheit. Allein mit dem Tod.
Wir gehen dort, wo sich einst eine Straße erstreckte. Dann und wann ragen in der Nähe weiße Hügel auf, vermutlich unter Schnee und Eis begrabene Autos. Voller Unbehagen denke ich daran, dass in einigen dieser Autos noch Leichen liegen, in der Kälte erstarrt. Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen, als ich hier in entgegengesetzter Richtung unterwegs gewesen bin, auf der Flucht aus einer halb zerstörten, tödlich getroffenen Stadt.
Damals waren die Autos noch zu sehen. Das Blech hatte die Insassen nicht vor der Strahlung geschützt. Männer, Frauen und Kinder saßen in ihnen, in Luxuslimousinen ebenso wie in den Schrottkisten der Immigranten, die voller Gepäck waren.
Und voller Menschen.
Ich erinnere mich an ein aufgedunsenes Gesicht, die Wange wie ein Saugnapf ans Fenster gedrückt, als hätte sich jener Mann in ein monströses Meereswesen verwandelt.
Ich erinnere mich an einen Politiker in seinem schwarzen gepanzerten Lancia. Hockte da wie die Mumie eines Pharaos.
Ich sehe noch eine junge Frau, die sich im Todeskampf die Fingernägel in die Augen gebohrt hatte.
Am schrecklichsten waren die Kinder. Wie Puppen lagen sie auf den Rücksitzen. Langes Haar wie Schleier auf grinsenden Totenschädeln. Kinder, die ein Plüschtier in den Armen hielten oder im Tod ihre Mutter umschlangen. Der Tag des Leids lag nur zwei Wochen zurück. Das Leid – so nannte ihn die Kirche. Aber für die meisten Menschen war es der Tag des Jüngsten Gerichts.
Einer der Verzweifelten, der mit mir zusammen aus der verwüsteten Stadt geflohen war, hatte die Tür eines Wagens geöffnet, angelockt vielleicht vom Funkeln der Edelsteine am Hals einer Frau. Die Verwesung hatte den Hals anschwellen lassen, und dadurch sah die Smaragdkette daran aus wie ein Würgedraht. Der Mann – so wie er hustete und spuckte, blieben ihm wahrscheinlich nur noch einige Tage, bis er selbst zu einer Leiche wurde – öffnete die Beifahrertür des Wagens voller Habgier und streckte die Hand nach der Kette aus.
Doch dann taumelte er zurück, stolperte und ging zu Boden.
Der aus dem Auto kommende Gestank war so schrecklich, dass es ihm den Atem verschlug.
Der Mann wollte wegkriechen, aber die Leiche der Frau, die an der Tür gelehnt hatte, fiel auf ihn. Er schrie und versuchte, sich von dem grässlichen Leichnam zu befreien, der wie ein mit Gelatine gefüllter Beutel auf ihm geplatzt war. Es kam mir vor wie eine Szene aus einem Horrorfilm.
Ich blieb nicht stehen, sondern ging immer
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