Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
her, dass ich zum letzten Mal ein Tier gesehen habe, das keine Maus oder Ratte war.«
Adèle zögert.
»Vielleicht morgen. Derzeit ruht das Vieh. Ich zeige Ihnen etwas viel Interessanteres.«
Der Raum ist unglaublich.
Ich kann es nicht anders beschreiben.
Eigentlich ist es ein Saal, dreißig Meter lang und zwanzig breit, und er befindet sich in der untersten Etage der Station. Bilder bedecken praktisch jeden Quadratzentimeter der Wände, große Ölgemälde: historische Schlachten, Renaissance-Porträts und niederländische Stillleben. In der Mitte stehen Statuen wie aus einem Geschichtsbuch. Es sind berühmte Bildnisse, wie das des Brutus Capitolinus oder der Wölfin mit Romulus und Remus.
Ich stehe mit offenem Mund da und glaube, meinen Augen nicht trauen zu können.
»Wir haben uns nicht nur auf die Suche nach Lebensmitteln und Munition konzentriert«, sagt die schöne Adèle. »Wir bemühen uns auch, in Gefahr geratene Kunstgegenstände zu retten. Bisher haben wir in dieser Hinsicht noch nicht viel geschafft, aber wir hoffen, in Zukunft mehr leisten zu können. Viele von uns haben ihr Leben für die Bergung dieser Objekte geopfert.«
Es gibt noch vier andere Räume dieser Art.
Unglaublich, wiederhole ich in Gedanken, als mein Blick von einem wundervollen Gegenstand zum nächsten springt.
Und dann sehe ich etwas, bei dem ich das Gefühl habe, einen Faustschlag in die Magengrube zu bekommen.
Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen.
Wie beiläufig wende ich den Blick ab.
Adèle scheint meine Reaktion nicht bemerkt zu haben.
Was dort in einer Ecke des Raums glänzt, ist das staubige Gold der Crux Vaticana, des Reliquienkreuzes, das Kaiser Justin II. im sechsten Jahrhundert der Stadt Rom schenkte. Dieses Kreuz ist einer der ältesten und am meisten verehrten Schätze der Kirche, nicht wegen des Goldes und der Edelsteine, sondern wegen seines Inhalts. Angeblich enthält es einen Splitter des Kreuzes, an dem Jesus starb.
Aber was mir vor allem die Sprache verschlägt, ist dies: Eigentlich sollte sich das Kreuz an einem Ort befinden, den seit mehr als zwanzig Jahren niemand mehr betreten hat.
In der Schatzkammer des Petersdoms.
Plötzlich wird mir klar, was ich während des Essens gesehen habe. Das goldene Objekt, das erst in Bunes Hand gefunkelt hat und dann in Durands.
Der große Ring aus massivem Gold.
Das Siegel des Fischers.
Der Ring des Papstes.
Der Ring, der jedem offiziellen Dokument des Pontifex sein Siegel gibt. Und der nach dem Tod des Papstes vom Kardinal-Camerlengo zerbrochen werden soll.
Diesen Ring hatte Hauptmann Durand in der Tasche.
Nur an einem Ort kann er ihn gefunden haben.
Im alten Vatikan.
Und es gibt nur eine Möglichkeit, wie jemand diesen Ring an sich gebracht haben kann.
Er muss ihn vom Ringfinger des Papstes gezogen haben.
8
PAUKENMESSE
Ich habe kaum geschlafen.
Nicht nur wegen der Dinge, die ich gesehen habe, und wegen ihrer Bedeutung.
Es ist zu warm hier. Und es gibt ein ständiges Geräusch, das nie aufhört, wie von einer Turbine in der Wand. Als ich den Mann, der mich zu meinem Zimmer geführt hat, danach frage, antwortet er: »Welches Geräusch meinen Sie?«
Ich nehme an, es handelt sich um die Klimaanlage, die dafür sorgt, dass es hier unten frische Luft gibt. Ich vermute es, aber sicher bin ich nicht. Ähnlich verhält es sich mit dem Spiegel an der einen Wand des Zimmers: Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich nur ein Spiegel ist oder vielleicht eine Scheibe, hinter der mich jemand beobachtet.
Seit ich hier bin, regen sich seltsame Empfindungen in mir. Als junger Mann bin ich weit genug herumgekommen, um zu wissen, wie man sich fühlt, wenn man in einem fremden Land lebt. Hier stellt sich ein solches Gefühl ein. An diesem Ort herrscht eine völlig andere Atmosphäre als im Neuen Vatikan. Alles wirkt fremdartig, selbst die Stille. Die Leute bewegen sich langsamer, als ob sie über jeden Schritt, jede noch so kleine Bewegung genau nachdenken müssten. Sie sprechen wenig, und alle scheinen mit einer wichtigen Aufgabe beschäftigt zu sein, die sie daran hindert, mit einem zu reden. Doch wenn man sich von ihnen entfernt, wenn man ihr Blickfeld verlässt … Dann gewinnt man den Eindruck, dass sie plötzlich in einer seltsamen Apathie verharren, wie menschliche Roboter, die jemand ausgeschaltet hat.
Und in der Nacht, als ich nicht schlafen konnte, mit geschlossenen Augen dalag und mich auf ein Gebet zu konzentrieren versuchte … Da erreichten mich
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