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Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tullio Avoledo
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zumindest an seiner Schuld zweifelte.
    Von jenem Tag an kamen zwanzig weitere Flüchtlinge zu uns. Fünf von ihnen ging es so schlecht, dass sie kaum eine Woche später tot waren.
    In der Engelsburg ließ es sich gut ausharren. Solange die Vorräte reichten.
    Anschließend sah die Sache anders aus.
    Wir begannen damit, erst das Wasser und dann auch die Lebensmittel zu rationieren. Es gab einen Brunnen in der Burg, aber ohne Geigerzähler trauten wir uns nicht, sein Wasser zu trinken. Unsere Nahrungsmittel wurden schnell knapp. Guidi berechnete die Rationen, die das Überleben garantierten, und kürzte sie dann noch einmal um zehn Prozent.
    Aber auch so war das Ende abzusehen.
    Wir bekamen Visionen. Selbst ohne den Hunger war es leicht, welche zu bekommen, an einem Ort, der Jahrtausende gesehen hatte. Manchmal fühlte ich mich wie einer der Forscher des neunzehnten Jahrhunderts, die zum ersten Mal eine Pyramide und dort das Grab des Pharao betraten. Vielleicht lag es daran, dass die Engelsburg ursprünglich ein Grabmal gewesen war, ein Mausoleum für die größten römischen Kaiser. Hinzu kam, dass der Rest der Welt um uns herum starb. Eine von Gott verlassene Welt. Der Schöpfer hatte sich von uns abgewendet. Das sagten wir unter uns, wenn der Kardinal nicht in der Nähe war.
    Guidi …
    Er behielt seine Gedanken für sich. Wenn er jemals an Gott zweifelte, so gab er nichts davon zu erkennen. Wir wussten, dass wir es bitter bereut hätten, ihm gegenüber solche Zweifel zu äußern. Guidi war ein ganzer Kerl. Sein Tod bestätigt das. Er war einfach kein Mann, der Kompromisse machte.
    Aber Sie wollen von Geistern hören, Pater. Dazu komme ich gleich. Haben Sie noch ein wenig Geduld.
    Erst möchte ich Ihnen erklären, warum ich an jenem Tag hinuntergegangen bin.
    Ich hatte gelesen, dass Kaiser Hadrian ein ausgezeichneter Architekt gewesen ist. Er hat den Wiederaufbau des Pantheons geplant, eines der außergewöhnlichsten Gebäude in der Menschheitsgeschichte.
    An jenem Tag plagte mich der Hunger, und um mich abzulenken, beschloss ich, den berühmtesten Saal der Engelsburg zu besuchen. Ich meine den, in dem Hadrians Asche aufbewahrt worden war.
    Mit einer Taschenlampe machte ich mich auf den Weg. Damals war das noch normal. Solche Lampen galten noch nicht als wertvolle Relikte der Vergangenheit, so wie heute. Wir dachten, dass die Zivilisation früher oder später zurückkehren würde, durch welches Wunder auch immer.
    Eine Etage nach der anderen ging ich hinab, und es wurde immer dunkler. Schließlich betrat ich den alten Grabraum.
    Enttäuscht stellte ich fest, dass es dort nichts gab. Überhaupt nichts. Vielleicht hatte der Wind Hadrians Asche schon vor langer Zeit verstreut. Möglicherweise stand seine Urne bei einem Antiquitätenhändler in Boston im Regal, oder in Berlin, ohne dass jemand ahnte, was sie einmal enthalten hatte …
    Ich setzte mich auf den kalten Boden. Es wurde jeden Tag kälter, und manchmal sahen wir durch die grauen Wolken den bunten Widerschein gewaltiger elektrischer Gewitter. Es sah als, als bekriegten sich die alten Götter am Himmel, über den Wolken vor den Blicken von uns unwürdigen Sterblichen verborgen.
    Als ich die Taschenlampe ausschaltete, empfing der Raum nur noch Licht vom Flur. Ich stellte mir vor, wie die Urne mit der Asche des Kaisers an diesem Ort aufgestellt worden war. Die Wände waren damals natürlich mit kostbarem Marmor verkleidet gewesen, der heute nicht mehr existiert – nur die Backsteine sind übrig geblieben. Ich dachte an die prunkvollen Ausschmückungen, die Hadrians Urne in den Grabraum begleitet hatten, an Dekorationen aus Bronze und Edelmetallen …
    Je deutlicher die Objekte in meiner Vorstellung wurden, desto heller schien es zu werden, und in der sich lichtenden Düsternis zeichneten sich die Umrisse von Einrichtungsgegenständen ab. In der Mitte des Raums sah ich keine Urne, sondern einen Mann, der auf einem einfachen Holzstuhl saß. Er hatte nichts Majestätisches, doch selbst in dem matten Licht erkannte ich ihn sofort. Ich hatte sein Gesicht oft gesehen, auf Bildern und Münzen, auch bei Statuen.
    Ich schob es auf den Hunger, stand auf und näherte mich dem Mann.
    Etwas stimmte nicht, so viel stand fest. Die Person auf dem Stuhl schien keine richtige Substanz zu haben. Die Umrisse waren klar, doch die Einzelheiten blieben verschwommen, als lebte die Gestalt allein vom schwachen Licht des Flurs.
    Es war ein Geist, aber nur deshalb, weil ich keinen

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