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Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tullio Avoledo
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für viele ein Relikt der Vergangenheit. Ein alter König, von seinem Thron gestoßen, der durch ein radioaktives Land wandert und die Seelen an einer Hand abzählt.
    »Woran denkst du, John?«, fragt Adèle. Ihr Atem ist frisch, riecht nach Gras. Unglaublich in einer Welt, die nicht eine Tube Zahncreme mehr produziert.
    »An die Vergangenheit.«
    »Ah.«
    »Es sind keine schlechten Erinnerungen.«
    Sie schüttelt den Kopf. »Die Vergangenheit ist gefährlich. Sie tötet. Viele haben sich das Leben genommen nach einem Traum, der sie in die Vergangenheit zurückbrachte.«
    Ich blicke aus dem Fenster und sehe nichts, nur mein Spiegelbild und, weniger deutlich, auch das von Adèle.
    »Die Vergangenheit ist alles, was wir haben«, erwidere ich. »Die alten Griechen glaubten, dass der Mensch in seinem Leben rückwärts geht, dass die Zukunft hinter ihm liegt, unsichtbar. Das Einzige, was er bei jedem Schritt sieht, ist die Vergangenheit.«
    »Schön. Und auch nicht. Es ist in Ordnung für jemanden wie dich, der in der Welt vor den Bomben gelebt hat. Aber für einen nach der Apokalypse Geborenen ist die Vergangenheit etwas, vor dem man so schnell wie möglich fliehen sollte. Die Zukunft ist alles, was wir haben. Wir müssen an die Zukunft glauben.«
    »Amen«, fügt der am Steuer sitzende Durand sarkastisch hinzu.
    Plötzlich fällt der Hummer dreißig Zentimeter tief, und die Stoßdämpfer beklagen sich mit einem lauten Ächzen über den Aufprall. Durand öffnet das Fenster und bewegt die Scheinwerfer auf dem Dach.
    »Gefunden!«, ruft Feldwebel Wenzel aufgeregt.
    Er meint ein halb verrostetes grünes Schild mit der Aufschrift A1.
    Die Autobahn A1, einst »Autostrada del Sole« genannt, war die längste italienische Autobahn. 1964 eingeweiht, verband sie Neapel mit Mailand und wurde schnell zum Symbol des wirtschaftlichen Aufschwungs in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts.
    Jetzt sieht sie nicht nach viel aus. Eigentlich nach gar nichts. Wie alles andere liegt sie unter zehn Zentimeter Schnee, und überall liegen Hindernisse: Autowracks und umgestürzte Bäume. Asphalt und Beton sind von Rissen durchzogen. Nur die über lange Strecken hinweg intakt gebliebenen Leitplanken zeigen, dass dies vor der Katastrophe eine Autobahn war, über die jeden Tag Millionen von Fahrzeugen rollten.
    Ich glaube fast, den Lärm zu hören: Lastwagen, die die Luft mit ihren Abgasen verpesten; schnittige italienische Autos in langen Reihen; das Hupen ungeduldiger Fahrer …
    Durands Stimme holt mich abrupt in die Wirklichkeit zurück.
    »Von hier an müssten wir rein theoretisch schnell vorankommen. Wir folgen dem Verlauf der A1 dreißig Kilometer weit, und dann …«
    Durands Zeigefinger klopft auf eine bestimmte Stelle der Karte.
    »Ab hier nehmen wir die Roma–Cesena.«
    »Warum?«
    »Um Florenz zu meiden.«
    »Gibt es dafür einen besonderen Grund?«
    »Florenz ist gefährlich.«
    Mehr sagt Durand nicht.
    Der andere Hummer folgt uns. Die nächsten dreißig Kilometer fahren wir im Slalom, um Autowracks und Löchern im Asphalt auszuweichen. Tatsächlich kommen wir gut voran. Einmal müssen wir anhalten, als das Scheinwerferlicht etwa zwanzig Meter vor uns dunkle Silhouetten erreicht. Für einen Moment ähnelt die Szene einer höllischen Vision: Dämonen, die sich auf der Motorhaube eines Autos zusammendrängen. Bevor ich noch richtig begreife, was mir meine Augen zeigen, kommt jähe Bewegung in die dunklen Körper. Flügel schlagen, lange Schwänze zucken, und die schauderhaften Wesen verschwinden. Im Licht der Scheinwerfer bleibt nur das Auto, ein rotes Cabrio mit jemandem auf dem Fahrersitz.
    Die beiden Hummer verständigen sich mit Signalen der Scheinwerfer und Bremsleuchten. Dann öffnen sich die Türen des zweiten Wagens, und die beiden Italiener der Gruppe, Guido und Marco, steigen aus. Sie tragen ihre Gasmasken und halten die Waffen bereit. Durand gesellt sich zu ihnen und auch Bune, mit der Atemmaske schief im Gesicht.
    Langsam gehen sie zu dem roten Wagen, der wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt wirkt. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, streife mir rasch Gasmaske und Plastikjacke über und springe hinaus.
    Durand dreht sich verärgert um, sagt aber nichts. Mit einem Wink bedeutet er Adèle, im Wagen zu bleiben.
    Mit schussbereiten Maschinenpistolen nähern wir uns dem Alfa Romeo Giulietta.
    Die Frau am Steuer ist rot gekleidet, rot wie der Wagen. Das Kleid ist an mehreren Stellen zerrissen, muss aber

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