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Die Yoga-Kriegerin

Die Yoga-Kriegerin

Titel: Die Yoga-Kriegerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana T. Forrest
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lindern. Es half – vor allem, wenn ich aufwachte und so etwas wie einen Filmriss hatte, mit einem Kopf, der zu platzen schien. Aber die an deren Stallhelfer hatten noch härtere Methoden. Sie waren fünf oder sechs Jahre älter als ich und standen drauf, high zu werden und Pil len einzuwerfen. Sehr bald schluckte ich auch ihre Pillen und rauchte ihr Gras – alles, um mit ihnen mitzuhalten, das Gefühl zu haben, dazuzugehören – und um empfindungslos zu bleiben. Ich war dankbar für die Amphetamine, also Aufputschmittel, und Koffeintabletten, die sie mir gaben; ich mochte das heftige Zeug, das mich wach hielt, denn ich hasste die Albträume, die mich immer wieder verfolgten.
    Man ist kein Ausreißer, wenn einen niemand jagt; ich war eher eine, die einfach wegging. Eines Tages fragte mich meine Mutter: »Wo bist du gewesen?« Ich antwortete wahrheitsgemäß: »Ich habe Drogen genommen. Gesoffen. Du willst es doch gar nicht wissen, also frage mich nicht.« Von da an fragte sie mich nicht mehr danach.
    Als mich Nick immer mehr unter seine Fittiche nahm, brachte er mir bei, wie man Pferde verarztet. Eines Tages ging ich im Stall herum, als ich das Gefühl bekam, dass etwas nicht stimmte. Zuerst sah ich bei den Pferden im Stall nach; sie waren alle in Ordnung. Dann ging ich auf den Reitplatz, wo wir die Mietpferde hatten. Alle fraßen das Heu, das wir gerade zuvor hingeworfen hatten – außer Diamond Jim, ein Wallach, der seinen Kopf hängen ließ und sich abseits hielt. Er sah krank und traurig aus, mit einer vorstehenden Geschwulst an seinem Hals. Ich ging Nick holen. Er sah es sich an und sagte mir, dass Diamond Jim die Druse hatte, dass die Geschwulst ein Abszess war, der ihm allmählich den Atemweg abschnürte. »Hier, Annie, halte seinen Kopf fest«, befahl mir Nick. Ich fasste Diamond Jims Halfter und Zügel, meine Zehen reichten kaum bis zum Boden. Als Nick eine Lanzette an den Abszess des Pferdes führte, bäumte sich Diamond Jim auf und riss mich komplett in die Höhe. Er warf seinen Kopf nach hinten, und übel riechender Eiter spritzte über mein ganzes Gesicht und auf meine Brust, aber ich hielt ihn noch immer fest. Nick bog sich vor Lachen, aber ich wusste, dass er beeindruckt war, dass ich nicht losgelassen hatte.
    Nick meinte, dass Diamond Jim wahrscheinlich sterben würde, aber ich beschloss, ihn zu meinem ganz persönlichen Projekt zu machen. Seine Wunde musste ständig gepflegt werden; es entwickelte sich sogenanntes wildes Fleisch – verdicktes, vernarbtes Gewebe, das immer wieder sorgfältig entfernt werden musste. Das war ein schmerzlicher Prozess für Diamond Jim – um an das gesunde Gewebe zu kommen, mussten wir das wilde Fleisch wegschneiden, mit Ätzmittel reinigen und den abgestorbenen Wundschorf entfernen. Aber es war ein unvermeidbarer Schritt, das befallene und abgestorbene Zeug loszuwerden, damit Diamond Jim wieder vollständig genesen konnte. Nach und nach kehrte der Glanz in Diamond Jims Augen zurück. Es ging ihm immer besser, und ich hatte das Gefühl, dass in mir eine Heilerin steckte.
    Im Gegenzug schafften es die Pferde im Laufe der Jahre, mich zu heilen. Sie waren so groß , schön, unberechenbar; sie standen für Freiheit, Macht. Ich konnte zwar auf meinen eigenen Füßen gehen und rennen, aber das tat immer weh. Auf einem Pferd aber war ich groß und konnte es zu etwas bringen. Das Reiten war auch eine Art Schmerz, aber wenn es mich weiterbringen würde, war ich bereit, es hinzunehmen. Ich liebte das Reiten, und der Schmerz in meinen Beinen machte mir deshalb nichts aus, weil ich nie gelernt hatte, dass Schmerz etwas zu bedeuten hat. Meine Verbindung zu den Pferden war der Beginn einer Freiheit, obwohl ich nicht genau wusste, was das überhaupt war. Da war ein so großes Verlangen in mir, wenn ich bei ihnen war; ich musste sie einfach berühren.
    Und da gingen mir plötzlich die Augen auf: Es gab bestimmte Arten, wie sie berührt werden wollten, und solche, die sie nicht mochten. Ich hatte nicht gewusst, dass es verschiedene Arten des Berührens gibt. Für mich war Berührung schlimm und laut und schmerzhaft. Aber die Pferde mochten es, fest am Bauch gekratzt, sanft an ihren Nasen gestreichelt und ganz vorsichtig an ihren Ohren gekrault zu werden – es gab eine ganze Bandbreite von Gefühlen, die dadurch ausgelöst werden konnte, je nachdem, wo und wie ich sie berührte. Das haute mich vom Hocker! Es war, als ob ich eine Tür öffnete und eine Welt aus Samt vorfand. Die

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