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Die Yoga-Kriegerin

Die Yoga-Kriegerin

Titel: Die Yoga-Kriegerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana T. Forrest
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und den zurückgehaltenen Tränen des Schmerzes und der Demütigung ausgetrocknet an. »Komm schon, Mädchen, steh auf«, meinte er. »Das geht vorbei.«
    Ich quälte mich durch meine Routinearbeiten im Stall, holte Pferde für Leute heraus, die ausreiten wollten, striegelte die Pferde, mistete die Ställe aus. Mein Gesicht war taub, brannte und pochte die ganze Zeit, und mein Körper schmerzte überall. Ein paar Stunden später war Nick auf dem Reitplatz mit ein paar Zügeln am Seil springen. »Hey, Annie, komm, mach mit!« Ich hatte überall Schmer zen, aber wie kann man die Einladung eines 60-jährigen, seilspringenden Mannes ablehnen? Schon bald sprang ich mit ihm zusammen auf und ab. Das war Nicks Zugang zum Schmerz – komm damit klar und mach weiter.
    Es hatte nicht lange gedauert, bis Nicks Azusa Canyon Stables mein echtes Zuhause wurden. Es war ein Mietstall – Pferde, die man zu Wanderritten mieten konnte, ein paar, die dort untergestellt waren, und ein paar Schulpferde, die Reiter für Shows trainieren konnten. Die Entfernung von meinem Zuhause war enorm – knappe 25 Kilometer. Also lernte ich nach ein oder zwei Jahren, wie man per Anhalter dorthin kam.
    Nick war ein verrückter Mann, ein kleiner, o-beiniger, drahtiger Kerl mit einer kräftigen Stimme. Aus seiner Zeit beim Zirkus hatte er immer noch ein Auge für Menschen, die am Rande der Gesell schaft lebten. Mit ungefähr sechs Jahren war ich bei Weitem die Jüngste dieses zusammengewürfelten Haufens von Stallhelfern: Dro gensüchtige und Trinker, Raucher und Dealer. Nick waren unsere kleinen Schwächen egal. Er nahm uns alle auf, lehrte uns, wie man sich um Pferde kümmert, wie man Leute auf Wanderritte führt. Er kläffte uns immer wie ein Terrier an, aber hinter seinem kratzbürs­tigen Verhalten war auch Zuneigung zu spüren.
    Im Austausch zur Stallarbeit brachte mir Nick das Reiten bei. Als ich anfangs in seinen Stall kam, waren meine Knöchel so schwach, dass ich kaum auf ihnen stehen konnte. Meine Knie und mein Rücken pochten immer vor Schmerz. Diese orthopädischen Schuhe, die ich tragen musste, waren echte Folterwerkzeuge. Immer wenn ich ging, fühlte ich mich wie die kleine Meerjungfrau aus Hans Christian Andersens Märchen, jeder Schritt, als ob ich auf Messerklingen laufen würde. Als mich Nick das erste Mal auf ein Pferd setzte – auf Sunny, einen großen, dicken Palomino –, waren meine Beine so schwach, dass ich geradewegs von seinem Rücken rutschte, als er einen Schritt machte. Nick lachte und sagte mir, ich solle noch einmal aufsteigen. Als ich allmählich in der Lage war, mich zu halten, dachte ich weniger über meine kaputten Beine nach, und wenn, dann dachte ich mir: Was soll‘s? Ich habe ja vier starke Beine unter mir. Das ist sogar noch besser!
    Eins war mir klar: Ich musste mich in Bewegung halten, um von den grässlichen Zuständen im Hause meiner Eltern wegzukommen. Am Anfang lief ich nur an den Eisenbahnschienen entlang. Ich folgte den Gleisen so lange, bis ich nicht mehr konnte – bis ich hinfiel –, um diesen Wahnsinn aus mir rauszubekommen. Stunden später ging ich zurück nach Hause, ein schmerzvoller Schritt nach dem anderen. Später fing ich damit an, einfach für ein paar Tage abzuhauen. Ich wusste nicht genau, wie man Freunde gewinnt, aber ich fand immer irgendeine Person, die bereit war, mich bei ihr über nachten zu lassen. Manchmal fand ich eine Bank, unter der ich schla fen konnte. Es dauerte nicht allzu lange, bis ich die Nächte im Stall verbrachte. Zuerst versuchte ich, im Stallgebäude zu schlafen, aber dort wurde ich fast zertrampelt. Also schlief ich draußen in der Kälte, zusammengekauert in einem Heuhaufen. Ich besaß zwar Män ­ tel, aber ich dachte irgendwie nie daran, sie in den Stall mitzunehmen. Ich schaffte es einfach nicht, für mich zu sorgen – wenn ich die Kälte oder Erschöpfung nicht mehr ertrug, kauerte ich mich einfach dort zusammen, wo ich gerade war, und versuchte zu schlafen. Nick machte es nichts aus, dass ich die ganze Zeit dort abhing, und meine Eltern wären natürlich nie gekommen, um nach mir zu suchen.
    Ich wurde im Stall immer umgerannt, gebissen oder getreten. Nicks Einstellung zu Schmerzen war stets: Ach, ist doch nicht schlimm! Flickt mich zusammen und stellt mich wieder auf die Beine. Ich konnte mich immer noch auf den Likörschrank meiner Eltern verlassen. Ich schlich mich in der Nacht hin und nahm winzige Schlucke aus den hübschen Flaschen, um die Schmerzen zu

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