Die Yoga-Kriegerin
das Kotzen zu beschränken. Das klappte.
Nächste Phase: Ich gestattete mir nicht zu erbrechen, koste es, was es wolle , selbst wenn das bedeutete, dass ich fett werden würde, was eine unsagbare Horrorvorstellung für mich war; fett zu werden hieß, so wie meine Mutter zu werden. Und ich nahm zu. Ich hörte auf, mich auf die Waage zu stellen, nachdem ich 67 Kilo erreicht hatte, aber wahrscheinlich kam ich sogar noch auf fünf bis sieben Kilo darüber – ziemlich viel für meine 1,70 m. Ich hatte zwar noch ab und zu einen Rückfall, aber ich war zumindest so weit, dass ich nicht jeden Tag kotzte.
Der nächste Schritt war, dass ich meine Mahlzeit auf nur einen Teller Essen reduzierte, koste es, was es wolle . Es konnte ein voll ge häufter Servierteller sein, aber: nur ein Teller. Ich konnte zwar immer noch nicht erkennen, ob mein Magen voll oder leer war, aber das Essen auf die Größe meines Tellers zu beschränken würde verhindern, dass ich mich bis zum Platzen vollfraß.
Langsam, sehr sanft, aber sehr deutlich, begann mein Körper während dieses Prozesses mit mir zu sprechen. Er sagte mir, dass ich mir meine Beziehung zu Ganga genauer ansehen müsste, die auf bestimmte, entscheidende Weise widerspiegelte, was ich in meiner Be ziehung zu meiner mich misshandelnden Mutter hatte ertragen müs sen. Ganga war natürlich nie gewalttätig, aber wie meine Mutter verstand er es meisterhaft, mich auszunutzen. Wie meine Mutter nutzte er meine Dummheit, Ignoranz und Naivität aus. Ich hatte nicht genug Selbstwertgefühl, um für mich selbst einzustehen; ich wusste nicht, wie. Ich hatte davon profitiert, im Yogazentrum zu leben, die Welt mit ihm anlässlich der Lesetour zu bereisen und mich so sehr auf meine Yogapraxis konzentrieren zu können. Ganga war ein guter Spielkamerad, denn er nahm mich auf seine Wanderungen mit und brachte mich mit neuen Dingen in Kontakt. Doch mein Körper sagte mir nun, dass es an der Zeit war, weiterzuziehen. Trotz all der Aspekte unserer gemeinsamen Zeit, die ich schätzte, insbesondere unser Buch über Partneryoga, das wir gemeinsam gestaltet hatten, wurde mir klar, dass meine Beziehung zu Ganga einfach nur eine weitere Art eines orthodoxen Denkens war, nämlich das zu tun, was mir jemand anders sagte. Es funktionierte für mich einfach nicht, nach den strengen Regeln des orthodoxen Yoga zu spielen, und genauso wenig funktionierte für mich, nach Gangas Spielregeln zu spielen. Ich musste meine eigenen entdecken.
Ich begann, meinem Körper Fragen zu stellen, und er begann, mit mir zu sprechen. Er verlangte Fisch von mir. Das ergab keinen Sinn. Ich war seit Jahren schon eine fanatische Vegetarierin; immerhin verlangte die Orthodoxie, dass alle guten Yogis und Yoginis Vegetarier sind. Aber ich bereitete Fisch zu. Ich aß ihn wie eine Wissenschaftlerin, die mit erwartungsvollem Blick auf die Reaktion war tete. Ich war mir sicher, dass mein Magen ihn wieder rauswerfen würde. Stattdessen reagierte mein Körper mit Gott sei Dank . Das war etwas, was er verarbeiten konnte. Dann sagte mir mein Körper, dass er Meeresalgen wollte, vor allem Nori. Er wollte kein Getreide. Das war der Beginn eines sehr langsamen Prozesses, bei dem ich herausfand, was mein Körper wirklich wollte. Anfangs war es schwierig, zwischen der Stimme meiner Abhängigkeiten und der Stimme meiner Weisheit und Heilung unterscheiden zu können. Wenigstens machte ich nun statt der alten neue Fehler. Mühsam, Schritt für Schritt, formte ich meinen einzigartigen Zugang zur Heilung.
Ich hatte gehört, dass Jäger für die von ihnen getöteten Vierbeiner beten. Das fand ich wirklich bezaubernd. Ich war so weit gekommen, dass ich alles, was ich aß, als eine Art Gift sah, folglich war es grundlegend wichtig und heilend für mich, über meinem Essen zu beten, ihm zu danken, dass es mir seine Lebenskraft gab, damit ich leben konnte. Das half mir dabei, das Essen nicht durch Kotzen zu verschwenden. Zu beten, Dank auszusprechen, war ein weiterer Weg, mich immer wieder für das Leben zu entscheiden. Ich fand einen Ausweg aus dem Irrgarten, einen Weg, mich zu heilen. Jahre später ging ich zu einem Ernährungsberater, der mir herauszufinden half, was ich noch essen sollte. Als ich in ein Indianerreservat zog, begann ich Wild zu essen. Aber fürs Erste hatte ich gelernt, dass ich zuhören musste, um zu verstehen, was ich am meisten für meine Heilung brauchte.
Bulimie ist ein Verhaltensmuster, das weit über das Essen hinaus geht.
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