Die Zaehmung
sich.
»Und was geschah dann?« ermunterte Liana die Frau zum Weiterreden.
»Und dann kehrte Jeanne zu Rogan zurück.«
Liana wartete; aber die Lady sagte nichts mehr. Ihre Nadel fuhr mit der Geschwindigkeit eines Blitzes durch die Seide des Wandteppichs. »Was geschah, als Jeanne zu Rogan zurückkehrte?«
»Sie war seit sechs Monaten schwanger mit Oliver Howards Kind und sehr in ihn verliebt. Sie kam zu Rogan, um ihn um eine Annullierung ihrer Ehe zu bitten, damit sie Oliver heiraten konnte.«
»Der arme Junge«, sagte Liana endlich. »Wie konnte sie ihm das nur antun? Oder hat Oliver Howard sie gezwungen, zu Rogan zu gehen?«
»Niemand hat Jeanne gezwungen. Sie liebte Oliver, und er liebte sie. Oliver hatte ihr sogar verboten, zu Rogan zu gehen. Oliver hatte vor, den Ehemann der Frau zu töten, die er liebte. Ich denke, Jeanne muß schon etwas für Rogan empfunden haben, weil ich glaube, daß ihr Besuch bei Rogan diesem das Leben rettete. Rogan kam nach seinem Zusammentreffen mit Jeanne nach Hause, und während Rogan ein Gesuch machte, seine Ehe mit ihr für ungültig zu erklären, herrschte zwischen den Peregrines und den Howards ein Waffenstillstand.«
Liana stand von der Fensterbank auf und ging zur entfernten Wand des Zimmers. Sie schwieg eine ganze Weile, ehe sie sich wieder umdrehte und die Lady anseh. »Also pflegten Rogan und Jeanne immer im Wald spazierenzugehen, wie? Dann werde ich eine Feier vorbereiten. Wir werden tanzen. Ich werde Sänger und Akrobaten einladen und . . .«
»Wie du das bei deiner Hochzeit gemacht hast?«
Liana stockte und erinnerte sich wieder an ihren Hochzeitstag, an dem Rogan sie vollkommen ignoriert hatte. »Ich möchte, daß er etwas von seiner Zeit mit mir verbringt«, sagte sie. »Er betrachtet mich nie, außer im Bett. Ich möchte mehr für ihn sein als nur ... ein Wochentag. Ich möchte, daß er . . .«
»Was möchtest du von ihm?«
»Ich möchte das, was diese Schlampe Jeanne Howard besaß und wegwarf!« sagte Liana heftig. »Ich möchte, daß Rogan mich liebt.«
»Und was willst du damit erreichen, daß du mit ihm im Wald spazierengehst?« Die Lady schien das zu belustigen.
Liana fühlte sich plötzlich sehr müde. Ihr Traum von einem Ehemann, der Hand in Hand mit ihr durch den Wald ging, paßte nicht zu dem Mann, der — von drei Pfeilen durchbohrt — noch drei läge lang weiterkämpfte. Sie erinnerte sich daran, wie Zared zu ihr sagte, Rogan befände sich in seinem Brütezimmer. Nun — es war kein Wunder, daß er brütete; kein Wunder, daß er niemals lächelte; kein Wunder, daß er nichts zu tun haben wollte mit einer zweiten Ehefrau.
»Was soll ich tun?« flüsterte sie laut. »Wie kann ich ihm zeigen, daß ich keine Jeanne Howard bin? Wie bringe ich einen Mann wie Rogan dazu, mich zu lieben?« Sie sah die Lady an und wartete.
Doch die Lady schüttelte den Kopf. »Darauf weiß ich keine Antwort. Vielleicht ist es eine unmögliche Aufgabe. Die meisten Frauen wären mit einem Ehemann zufrieden, der sie nicht schlägt und den Körper anderer Frauen für seine Lust benützt. Rogan wird dir Kinder schenken, und Kinder können für eine Frau ein großer Trost sein.«
Lianas Mund wurde zu einem Strich. »Kinder, die dafür aufwachsen sollen, daß sie gegen die Howards kämpfen und dabei den Tod finden? Soll ich ruhig dabeistehen und zusehen, wie mein Mann auf die Pferdeschädel deutet und meine Kinder das Hassen lehrt? Rogan verwendet all mein Einkommen, das der Bauern — jeden Heller, den er bekommen kann —, für den Bau von Kriegsmaschinen. Sein Haß bedeutet ihm mehr als jedes Leben auf Erden. Er zeugt Kinder mit den Bauernmädchen und überläßt sie dann dem Hunger. Wenn er doch nur einen Tag lang die Howards vergessen könnte — vergessen könnte, daß er jetzt der älteste Peregrine ist. Wenn er doch nur sehen könnte, wie sein Haß für seine Leute den langsamen
Tod bedeutet, dann könnte er ...« Sie hielt inne, während ihre Augen ganz groß wurden.
»Dann könnte er was?«
Mit leiser Stimme fuhr Liana fort: »Vor Wochen baten mich die Bauern um Erlaubnis, den Tag des heiligen Eustachus feiern zu dürfen. Ich gab ihnen die Erlaubnis. Wenn Rogan diese Leute erleben, mit ihnen sprechen könnte . . . Wenn er vielleicht seine eigenen Kinder sehen könnte . . .«
Die Lady lächelte jetzt. »Rogan hat sich bisher nur selten von seiner Familie getrennt, und ich bezweifle, daß er einwilligen wird, den Tag allein mit dir zu verbringen. Denn als er
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