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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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das man mit den Nachbarn tratschen konnte, und vor allem hatten die Leute nun die Gelegenheit, sich gegenseitig zu verdächtigen und wilde Spekulationen darüber anzustellen, wer denn wohl der psychopathische Killer war. Herrlich! Was konnte es in einem so langweiligen Ort denn Schöneres geben als ein paar tragische Tode?
    Lieber Andreas, wir danken dir, dass du dein Leben heldenhaft
hingegeben hast, um das soziale Leben in Landau aufrechtzuerhalten! AMEN !
    Heute war Lorentz besser vorbereitet als beim letzten Mal. Er hatte sich extra warm angezogen und einen großen Schluck von Papas Whiskey genommen. Der Pass war nun schon seit mehr als einer Woche zugeschneit. Das war auch für Landauer Verhältnisse ziemlich lang. Es konnte also nicht mehr lange dauern, bis die Durchfahrt wieder frei war. Es durfte nur nicht wieder anfangen zu schneien, dann wäre dieser furchtbare Aufenthalt in Landau bald überstanden.
     
    Als die Menge nach dem Gottesdienst die Kirche verließ, bekam Lorentz eine Gänsehaut.
    Es war ein widerlicher, kalter Dezembertag, und kein Bühnenbildner hätte die Kulisse für einen unheimlichen Gruselfilm besser hinkriegen können. Obwohl es gestern Nacht noch so klar gewesen war, hing nun feuchter Nebel in der Luft, die Bäume standen kahl und knorrig in der Landschaft herum, und überall sah man die kleinen Flammen von Totenlichtern leise vor sich hin flackern. Es war schlichtweg schaurig. Was für Lorentz aber noch viel schlimmer war, waren die dicken, grauen Schneewolken, die den Himmel bedeckten.
    »Verdammter Schnee!«, fluchte er und verabschiedete sich innerlich von dem Gedanken an baldige Freiheit.
    Er sah viele bekannte Gesichter, darunter Andreas’ Freunde wie Stefan de Vries, außerdem Bürgermeister Endres und die unvermeidliche Frau Vogelmann. Schließlich entdeckte er auch Morell und Capelli in der Menge. Aber wer war der Kerl, der neben den beiden stand und die Gerichtsmedizinerin dämlich grinsend anhimmelte? Ach, das musste wohl der berühmte Dr.Levi sein.
    »Was für ein langweiliges Nudlaug«, sagte er leise zu sich selbst. Was sie an dem nur attraktiv fand? Zugegeben, Levi war nicht so hässlich, wie Lorentz ihn sich vorgestellt hatte, aber er war auch
nicht mehr als durchschnittlich. In Lorentz’ Augen sah der Arzt wie ein typischer Schluffi aus. Ein bausparender, Birkenstock tragender Schattenparker. Einer, der Kebap nur ohne scharfe Soße aß, seine Socken bügelte und in der Sauna immer unten saß. Außerdem lebte Levi hier in Landau. So viele wahnsinnig interessante Dinge hatte er also sicherlich auch nicht zu erzählen. Es sei denn, man fand Krampfadern und Hämorrhoiden spannend.
    Morell deutete durch ein Kopfnicken an, dass er Lorentz gesehen hatte. Der wollte gerade zu den Dreien hinübergehen, um Dr.Levi genauer zu begutachten, als er Iris erblickte, die beim Friedhofstor stand. Sie hatte sich zurechtgemacht, trug dezentes Make-up und hatte einen wunderschönen, schwarzen, eng anliegenden Mantel an, der ihre perfekte Figur betonte. Keine Spur mehr von Zerbrechlichkeit, sie sah fabelhaft aus. Vielleicht könnte er sie ja zum Kirchenwirt begleiten.
    »Ciao«, rief er schnell in Richtung Morell und Capelli. »Wir sehen uns nachher.« Er winkte flüchtig und machte sich dann im Laufschritt auf zu Iris.
     
    ...
    Morell hob kurz den Arm, um den Gruß des davoneilenden Lorentz rasch zu erwidern. »Alte Liebe rostet anscheinend wirklich nicht«, stellte er fest.
    Capelli spürte einen kleinen Stich im Herzen, obwohl Markus Levi neben ihr stand. »Wohl nicht«, murmelte sie und starrte auf die große, schlanke Iris mit ihrer blonden Wallemähne, die sich bereits bei Lorentz eingehakt hatte und nun langsam an seiner Seite den Friedhof verließ.

»Wenn ich bis zwölf gezählt, und es steht noch Unrat da,
blitz’ ich los. Treffe es, wen’s trifft.«
    Willibald Alexis, Isegrimm
    Leander Lorentz, eigentlich hätte ich mehr von dir erwartet!
    Das Rätsel war doch wirklich nicht so schwer. Habe ich mich so sehr in dir getäuscht? Steckt hinter deiner Fassade doch weniger, als ich vermutet habe? Ich hatte dich anders in Erinnerung. Wo waren dein Verstand und deine so viel gerühmte Bildung, als du sie hättest einsetzen können, um ein Menschenleben zu retten?
    Der arme Andreas! Draufgehen lassen hast du ihn. Heute muss seine Familie Abschied von ihm nehmen, und du hättest es verhindern können. Oder hast du die ganze Sache etwa nicht ernst genommen?
    Na, du sollst noch eine

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