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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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eines.« Der Chefinspektor war froh, die beiden Streithähne allein lassen zu können. »Komm, Fred«, sagte er zu dem Kater, der schon seit einiger Zeit gierig auf die Essensreste
schielte. »Wir bringen die Teller in die Küche und holen dann eine Flasche Bier aus dem Keller.«
    »Das hat übrigens phantastisch geschmeckt«, rief Capelli ihm nach, als er gefolgt von Fred das Zimmer verließ.
    »Nina, ich glaube, dass es uns ohne genaue Kenntnis der Materie nicht möglich ist, irgendwelche Interpretationen bezüglich der Zwölf vorzunehmen«, sagte Lorentz, als sie alleine waren. »Wir müssen die Tragweite dieser Zahl erfassen. Immerhin sind wir umgeben von Zwölfen, ja, wir richten unser Leben nach der Zwölf, wir bestehen sogar aus Zwölfen. Wir müssen zuerst alle Möglichkeiten kennen, und erst dann können wir beginnen, eine nach der anderen auszuschließen.«
    Capelli wollte etwas sagen, aber Lorentz redete einfach weiter.
    »Der Killer könnte die Morde an irgendeine Stelle in einem antiken Epos anlehnen, oder er will mit den Opfern die Elementarbausteine des Lebens verdeutlichen, oder, oder ... hier«, er hielt Capelli den dicken Packen Papier unter die Nase. »In einem kranken Hirn kann jeder dieser Punkte die Grundlage für einen Mord darstellen.«
    »Nein«, sagte Capelli entschieden und schob den Papierstapel, mit dem Lorentz immer noch vor ihr herumwedelte, zur Seite. »Ich glaube, es gibt eine ganz simple Erklärung. Wir haben sie nur noch nicht gefunden, weil wir viel zu kompliziert denken.« Sie verschränkte die Arme und lehnte sich zurück.
    Als Morell zurückkam, spekulierten sie noch ein bisschen über die Zwölf herum, aber es kam nichts Gescheites dabei heraus.
    »Ich werde jetzt nach Hause gehen«, gähnte Lorentz schließlich und stand auf. »Das bringt heute nichts mehr. Ich bin hundemüde.«
    »Ist in Ordnung«, sagte Morell. »Wir sehen uns dann ja morgen in der Kirche.«
    »Kirche?«
    »Die Totenwache für Andreas.«
    »Ach du Schande, das habe ich gar nicht gewusst.« Lorentz musste schon wieder gähnen.
    »Um zehn Uhr«, sagte Morell.
    »Ist gut, ich werde hingehen. Ciao, Nina, ciao, Otto.«
     
    ...
    Schlapp und müde machte sich Lorentz auf den Heimweg. Komisch, wie ruhig es hier in der Nacht war. Es war kein Auto auf der Straße unterwegs, aus keinem Haus drang mehr Musik oder lautes Geschrei, und auch keine betrunkenen Nachtschwärmer wankten nach Hause. Das Einzige, was die Nachtruhe störte, war das monotone Knirschen des Schnees unter seinen Füßen.
    Der Himmel war klar, und Lorentz konnte das erste Mal seit langer Zeit wieder die Sterne sehen – in der Stadt war es dafür zu hell. Er hatte nie bemerkt, dass ihm die Sterne fehlten, aber jetzt, da er am Firmament sogar die Milchstraße erkennen konnte, wurde ihm bewusst, dass es doch tatsächlich etwas am Land gab, das er vermisst hatte. Er atmete tief ein. Die kühle, klare Luft roch nach Winter – Erinnerungen an früher kamen in ihm hoch. Während er weiter dahinstapfte, genoss er für einige Minuten die Landidylle und wurde ein wenig sentimental. Er dachte an Iris, an seine Eltern, seine Oma. Könnte er wieder hier leben? Ein Haus bauen, Kinder bekommen, einen seriösen Job annehmen?
    Um Gottes willen! Was war nur los mit ihm? Irgendwer hatte ihm etwas ins Wasser gemischt. Er sollte es lieber abkochen oder vielleicht gar kein Wasser mehr aus der Leitung trinken.
    Egal! In wenigen Tagen würde er wieder von hier verschwinden. Dachte er ...
    In Wien würde er sich dann in Ruhe ein paar Gedanken über sein Leben machen. Dachte er ...
    Alles wird gut! Dachte er ...

»Es ging zwar zu einem Abschied auf Nimmerwiedersehen –
aber zuweilen spielt das Schicksal gerade
in der zwölften Stunde seltsam.«
    Johann Richard zur Megede, Modeste
    Lorentz fand die Trauerfeier für Andreas genauso unerträglich wie die für Joe.
    In der Kirche war es nach wie vor eiskalt, und es waren dieselben Einfaltspinsel anwesend wie schon beim letzten Mal. Tuschelnd saßen sie in den Bänken, spekulierten über den Mörder, begutachteten die anderen Besucher und tauschten den neuesten Dorfklatsch aus.
    Lorentz war sich sicher, dass für mehr als die Hälfte der Anwesenden diese Messe nichts anderes war als eine weitere willkommene Abwechslung mit hohem Unterhaltungsfaktor. Dass dafür ein Mensch ins Gras beziehungsweise in den Schnee hatte beißen müssen, nahmen die meisten von ihnen sicherlich gerne in Kauf.
    Es gab endlich wieder ein Thema, über

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