Die Zahl
Cousin wollte also gerade gehen. Das sieht mir aber ehrlich gesagt gar nicht danach aus.« Er zeigte auf den Tisch, auf dem ein Teller mit Croissants und zwei Tassen Kaffee standen.
»Was soll ich sagen«, Kaiser zuckte mit den Schultern. »Mein Cousin ist halt manchmal ein wenig sonderbar.«
»Es reicht!« Morell schlug mit der flachen Hand so heftig auf den Tisch, dass der Kaffee aus einer der Tassen überschwappte. »Ich will mir Ihre Ausflüchte und Lügen nicht mehr länger anhören. Ich will auf der Stelle wissen, was hier gespielt wird. Irgendetwas ist hier faul.«
»Ich habe keinen blassen Schimmer, wovon Sie sprechen«, sagte Kaiser und starrte angewidert auf den Ahornsirupfleck auf Morells
Hose. »Mein Cousin war hier, um mit mir ein spätes Frühstück einzunehmen. Was soll denn daran verwerflich sein? Darf man mittlerweile nicht einmal mehr Besuch von der eigenen Familie bekommen?«
Morell wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Sein Bauch sagte ihm, dass Kaiser und sein Cousin Dreck am Stecken hatten, und sein Bauch irrte sich nie. Aber er hatte nichts gegen die beiden in der Hand. Was sollte er nur tun?
»Kann ich Ihnen einen Tee anbieten?«, riss Kaiser ihn aus seinen Gedanken.
»Nein danke. Aber ich nehme mir eins von denen, wenn’s recht ist.« Morell griff nach den Croissants.
»Die sind mit Mandelfüllung«, sagte Kaiser. »Ich hab auch noch Nuss da, wenn Sie wollen.«
Morell schüttelte den Kopf. »Mandel ist ganz wunderbar.« Er biss ab und spürte gerade, wie er sich wieder ein wenig beruhigte, als draußen ein Auto gestartet wurde. Er ging zum Küchenfenster und sah, wie der Wagen, der vorhin die Einfahrt blockiert hatte, wegfuhr.
»Das war doch wohl nicht Ihr Cousin, der da gerade weggefahren ist?«
Kaiser zögerte kurz. »Ähm, nein, natürlich nicht. Bert darf doch kein Auto fahren.«
Morell glaubte ihm kein einziges Wort. Er schlug wieder auf den Tisch. Diesmal so fest, dass eine der Tassen umkippte und sich ein riesiger Kaffeefleck auf dem Tischtuch ausbreitete. »Herrgottsakrament! Jetzt reicht’s!«, schrie er und marschierte wutschnaubend aus dem Haus.
Im Auto griff er sich das Funkgerät und funkte Bender an. »Kaisers Cousin fährt mit einem roten Toyota Corolla Kombi in Landau herum, dabei hat er gar keinen Führerschein. Ich hätte gern, dass du ihn findest und stoppst. Schau doch als Erstes mal in der Umgebung vom ›Hype‹ nach.«
»Ja, Chef«, sagte Bender begeistert. Die Aussicht auf eine wilde Verfolgungsjagd ließ ihn den Vorfall mit Agnes Schubert völlig vergessen.
»Anschließend wäre es nett von dir, wenn du mir einen Durchsuchungsbeschluss für Karl Kaisers Haus und das ›Hype‹ besorgst, samt Unterkunft von Bert Kröpfl. Grundlage: dringender Tatverdacht in sechs Mordfällen.«
»Geht klar!«
»Ach, Robert ...«
»Ja, Chef?«
»Wegen vorhin – ich bin dir was schuldig. Ich hoffe, die Schubert war nicht allzu heftig.«
»Na ja, sie hat mich an der Hand gekratzt, als ich sie davon abhalten wollte, nach Ihnen zu suchen, und beschimpft hat sie mich auch ziemlich arg, aber ich werde es überleben.«
»Dann bin ich ja beruhigt«, sagte Morell und schob sich den Rest des Croissants in den Mund. »Ich hatte mir schon kurz Sorgen um dich gemacht.«
»Ich mir auch um Sie, Chef. Sie sind ja ohne Jacke, Mütze und Handschuhe in die Kälte geflüchtet, und dann hat es auch noch angefangen zu schneien.«
»Ich komm gleich im Revier vorbei und hol mir meine Sachen, danach will ich nochmal kurz zu Sascha Genz fahren. Mir ist eingefallen, dass ich den auch nochmal mit den Namen der ersten vier Mordopfer konfrontieren sollte. Besser ist besser.« Er fasste sich an die Stirn, weil ihm in diesem Moment bewusst wurde, dass er vor lauter Aufregung ganz vergessen hatte, Kaiser nach Raimund Schelling, Thomas Liebenknecht, Susanne Simonis und Linda Frank zu fragen. Und jetzt nochmal zu klingeln, war ihm zu peinlich. Na, das würde er bei der Hausdurchsuchung nachholen. »Kümmer du dich bitte in der Zwischenzeit um Bert und den Durchsuchungsbeschluss, ja?«, fügte er noch hinzu.
»Alles klar, Chef, dann bis später.«
Morell fuhr zurück aufs Revier, wo er sich als Erstes einen heißen Tee und eine weitere Ladung Waffeln machte. So gestärkt und aufgewärmt, machte er sich erneut auf den Weg.
Bei Sascha Genz musste Morell nicht lange vor der Tür warten. Genz öffnete bereits nach dem ersten Läuten.
»Du schon wieder«, sagte er und schlurfte zurück
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