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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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irgendetwas Steinhartem, das in einem früheren Leben wahrscheinlich einmal eine Semmel gewesen war. Er schob die Kassette ins Kassettendeck, kurbelte das Fenster ein wenig hinunter und zündete sich eine Zigarette an.
    Jon Bon Jovi, der amerikanische Föhnfrisuren-Albtraum, sang ein fürchterliches Lied über die Liebe. Worüber denn sonst?
    Außer der schleichenden Übelkeit, die er immer verspürte, wenn er Musik wie diese hörte, fühlte Lorentz nichts. Aber er wollte etwas empfinden: Trauer, Schmerz, zumindest ein wenig Sentimentalität, irgendetwas, damit er sich nicht mehr wie ein herzloser, unsensibler Lump vorkam.
    Er mochte seine Familie, war ein guter Freund und Mitbewohner, war nett zu Kindern und Tieren, und seinen Müll trennte er auch. Er war ein feiner Kerl! Jawohl, das war er, und daran würde auch die Tatsache, dass die Nachricht von Joes Tod ihm keinen depressiven Schub bescherte, nichts ändern! Er war einer von den Guten!
    Mit dieser Überzeugung fuhr er durch die Nacht und ertappte sich selbst dabei, wie er bei einem Song des personifizierten Wischmobs mitsang. Aber weil er ja ein netter, sensibler Kerl war, war das schon in Ordnung.
     
    Es war bereits kurz vor sieben Uhr, als Leander Lorentz ziemlich erschöpft in Innsbruck ankam. Die Stadt am Inn war im Vergleich zu Wien ein unbedeutendes Nest, aber früher, als er noch in Landau wohnte, war sie ihm wie eine Weltmetropole vorgekommen.
    Er erinnerte sich an die vielen Abende, an denen er mit dem Mofa den Berg hinuntergefahren war, um sich die Nächte in den Bars und Discotheken der Stadt um die Ohren zu schlagen. Was war er doch damals für ein naiver Trottel gewesen.
    Lorentz parkte sein Auto hinter dem kleinen Hangar des Hubschrauber Shuttle Service und holte seine Tasche aus dem Kofferraum.
    Der Wind blies ihm eisig ins Gesicht, und es fühlte sich an, als würde er durch Rasierklingen gehen. Die Kälte und den beißenden Wind, der vor allem weiter oben oft wehte, hatte er noch nie ausstehen können. Er fischte seine Handschuhe aus der Jackentasche, zog seine Mütze ins Gesicht und schaute in die Höhe. Dort oben auf dem Berg lag er, sein Heimatort Landau.
    Lorentz bezeichnete sich als Stadtmenschen und konnte mit den kleinbürgerlichen Landeiern, die in Landau wohnten, denkbar wenig anfangen. Dort zu hausen, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagten und jeder mit jedem irgendwie verwandt war – das war doch keine Art, ein Leben zu führen. Für die älteren Generationen vielleicht schon, aber was war mit den Jungen? Wie konnten sie freiwillig in solch einem Kaff wohnen und auf alles verzichten, das irgendwie Spaß machte? Theater, Museen, Bars, Konzerte ...
    Die meisten seiner ehemaligen Freunde hatten früh Kinder bekommen – anscheinend war die Aufzucht des Nachwuchses der einzige Zeitvertreib, dem man in dem Kuhdorf nachgehen konnte. Die Frauen erweiterten ihre Gespräche irgendwann um die Themen Diät und Kochrezepte, die Männer um die Bereiche Eigenheimfinanzierung und Auto. Das war es. Mehr gab es nicht.
    Er würde darum die Trauerfeier absitzen, ein wenig Zeit mit seinen Eltern und seiner Großmutter verbringen und dann so schnell wie möglich wieder von dort abhauen.
    »Grüß dich, Leander, da bist du ja!«, Herr Felber kam um die Ecke gebogen. »Wir haben schon auf dich gewartet. Wenn du so weit bist, können wir sofort losfliegen.«
    »Servus, Herr Felber. Kann ich mein Auto hier stehen lassen?«
    »Als Auto würde ich dieses Ding ja nicht bezeichnen. Aber ja, du kannst es hier stehen lassen. Am besten, du lässt mir den Schlüssel hier, damit ich es umparken kann, falls die Müllabfuhr es mitnehmen möchte.« Herr Felber zwinkerte.
    Lorentz betrachtete seinen weißen Renault. Herr Felber hatte wohl recht, die Bezeichnung Sperrmüll war treffender als das Wort Auto. Er würde sich wohl bald von seiner kleinen Rostlaube trennen müssen. Der Gedanke daran versetzte ihm einen Stich ins Herz. Er hing an dem Wagen anscheinend mehr als an alten Freunden. Vielleicht war er doch keiner von den Guten?
    »In Ordnung.« Lorentz wollte nicht mehr weiter nachdenken,
reichte Herrn Felber seine Autoschlüssel und folgte ihm zum Hubschrauber.
    Während des Fluges starrte er zum Fenster hinaus und betrachtete die Landschaft. Landau lag auf einem Hochplateau, eingebettet zwischen den umliegenden Bergen. Von oben sah der Ort ruhig und idyllisch aus. Er konnte die Touristen verstehen, die Jahr für Jahr ein paar Tage oder sogar Wochen zum

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