Die Zahl
›vom Teufel besessen‹? In ihren Augen bist du der Beelzebub höchstpersönlich.«
Im Haus wartete seine Mutter bereits. Sie umarmte ihn heftig und küsste ihn auf die Wangen, was er fürchterlich hasste.
Beim Frühstück mit Rührei und Speck unterhielten sie sich über seine Schwester Claudia, die in Paris Kunst studierte, und darüber, wie teuer doch Beerdigungen heutzutage waren. Lorentz genoss das erste Essen seit Wochen, das nicht aus einer Tüte stammte und dessen Zubereitung länger als fünf Minuten gedauert hatte. Anschließend gähnte er ausgiebig und ging auf sein Zimmer. Eigentlich war es doch herrlich. Sein Bauch war voll, gleich würde er ein
kleines Erholungsschläfchen machen und danach auf der Couch im Wohnzimmer fernsehen. Die Bettwäsche war kuschelig und duftete nach Weichspüler, und nirgendwo rannte eine verflixte Katze herum, die seine Sachen anpinkelte.
Ja, das war das bisschen Heuchelei auf der Trauerfeier schon wert!
»Zwölf seiner Anführer und unzählige seiner Kriegerscharen
waren schon gefallen, da bestieg er seinen goldfunkelnden Streitwagen,
um selbst den Kampf mit dem Unüberwindlichen zu wagen.«
Rama und Ravana, Indisches Märchen
»Jammern nutzt nichts«, sagte Morell am Mittwochmorgen laut vor sich hin, öffnete seine Tupperware-Dose, steckte sich eine Pumpernickel-Cheddar-Schnitte in den Mund und brühte sich erst mal einen Johanniskrauttee auf. Der würde ihn hoffentlich ein wenig beruhigen.
Bender hatte Becky aus dem ›Hype‹ befragt, und sie hatte bestätigt, dass sie die Nacht mit Karl Kaiser verbracht hatte. Auf die Frage, ob sie nicht vielleicht eingeschlafen sei und es darum möglich wäre, dass Kaiser unbemerkt das Haus verlassen hatte, hatte sie nur gegrinst und gemeint, »wir war’n die ganze Nacht lang beschäftigt«. Morell bezweifelte das zwar, konnte aber leider nicht das Gegenteil beweisen. Verdammter Karl Kaiser. Es würde ihn nicht wundern, wenn der schmierige Kerl irgendwie in die Sache verwickelt war.
Sascha Genz hatte zwar kein wirkliches Alibi, da seine Frau ja nicht im selben Zimmer geschlafen hatte, aber Morell war nach wie vor sicher, dass sein alter Freund nichts mit dem Mord zu tun hatte. Apropos Sascha. Er hatte ganz vergessen, den Unfallbericht wie versprochen anzufordern.
»Verflixt«, sagte er leise. »Wo hab ich nur mein Hirn gelassen?« Er nahm einen großen Schluck Tee und rief dann nach Bender.
Es dauerte einige Augenblicke, bis die Tür aufging und Morells Assistent seinen Kopf ins Zimmer hereinstreckte. »Was denn, Chef?«
»Sei bitte so gut und besorg mir den Bericht über den Autounfall von Sascha Genz. Du weißt schon, bei dem sich seine Tochter so schwer verletzt hat.«
»Okay«, meinte Bender und verschwand wieder ins Vorzimmer, wo das Telefon Sturm läutete.
Morell seufzte und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Er musste handeln. Irgendetwas unternehmen, um mehr Hinweise zu bekommen. Nach reiflicher Überlegung griff er nach dem Telefon und wählte die Nummer von Capellis Handy. »Verdammt«, fluchte er erneut. Durch den starken Schneefall waren immer noch einige Sendemasten beeinträchtigt, sodass keine Verbindung zustande kam. Also versuchte er es auf seiner privaten Festnetzleitung.
»Hier bei Morell«, meldete sich Capellis Stimme.
»Ich bin’s, Otto. Ich wollte nur ...«
»Ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich dein Telefon abgehoben habe«, unterbrach sie ihn. »Aber ich habe ein paar Freunden gesagt, dass sie mich unter deiner Nummer erreichen können, weil mein Handy die meiste Zeit keinen Empfang hat.«
»Schon in Ordnung«, sagte Morell. Alles, was eine potenzielle Abschreckung für Agnes Schubert darstellte, war mehr als nur willkommen. »Ein paar Gemeindebedienstete sind übrigens gerade unterwegs und schaufeln die Sendemasten frei, Mobiltelefone sollten also bald wieder funktionieren. Bis dahin ist es absolut okay, wenn du meinen Festnetzanschluss benutzt.«
»Super, danke! Was gibt’s denn?«
»Ähm ja, genau. Warum ich eigentlich anrufe ...« Morell überlegte, wie er seine Bitte am besten formulieren konnte. »Nun ja ...«
»Was denn? Immer nur heraus mit der Sprache!«
»Ich stecke mit meinen Ermittlungen ein wenig fest. Darum bräuchte ich ganz dringend die Ergebnisse der Obduktion, und da wir das Opfer ja in den nächsten Tagen nicht in die Gerichtsmedizin fahren können, dachte ich ...«
»Dachtest du was?«
»Du hast doch am Sonntag gemeint, dass du die Obduktion hier vor
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