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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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Skifahren und Erholen herkamen. Urlaub ja, aber hier leben? Auf keinen Fall!
    Die Landung verlief ziemlich unruhig, und so war Lorentz noch ein wenig wackelig auf den Beinen, als er aus dem Helikopter sprang. Der Himmel war mit dicken, grauen Wolken bedeckt und hatte die Farbe von schmutzigem Spülwasser.
    »Da braut sich schon wieder was zusammen«, schrie Herr Felber und zeigte nach oben.
    Lorentz nickte und bedankte sich nochmal fürs Mitnehmen. Er ging ein paar Schritte und spürte sofort wieder den scharfen Wind, den er so verabscheute. Der Wind zerrte an ihm und peitschte ihm Schneeregen in die Augen – kein sehr schöner Empfang.
    Als er sich umdrehte, entdeckte er seinen Vater, der ihm mit gesenktem Kopf, um dem eisigen Wind zu entgehen, entgegenlief.
    ›Jetzt sitze ich hier fest‹, ging es Lorentz durch den Kopf. Der Pass war gesperrt, sein Auto stand unten im Tal, und der Hubschrauber hatte wahrscheinlich auch nicht so schnell wieder einen Platz für ihn frei.
    »Servus, Sohnemann, schön dich zu sehen. Wie war der Flug?«, begrüßte ihn sein Vater.
    »Servus, Papa!« Lorentz freute sich, seinen alten Herrn wiederzusehen. »Der Flug war ziemlich unruhig, darum ist mir ein wenig mulmig im Magen.«
    »Da wird sich deine Mutter aber nicht freuen. Sie hat extra ein Riesenfrühstück für dich gemacht.«
    Lorentz folgte seinem Vater bis zum Parkplatz, dort klopfte er sich den Schnee von der Kleidung und stieg in den geräumigen
Mercedes ein, den sein Vater schon seit einigen Jahren fuhr. »Was für ein Sauwetter«, fluchte er.
    »Für dich ist doch jedes Wetter schlecht«, sagte sein Vater. »Im Sommer ist es dir zu heiß, im Herbst zu verregnet und im Winter zu kalt.«
    »Frühling ist okay«, sagte Lorentz.
    Sein Vater lachte. »Als du im Mai hier warst, hast du dich eine ganze Woche darüber aufgeregt, dass du von den Gräserpollen Heuschnupfen kriegst.«
    Lorentz sagte nichts dazu. Er wusste, dass sein Vater recht hatte. Jedes Mal, wenn er in Landau war, fand er etwas, worüber er sich beschweren konnte.
    »Ich weiß, dass dir Josefs Tod ziemlich egal ist«, unterbrach sein Vater das Schweigen. »Aber ich finde es sehr nett von dir, dass du trotzdem gekommen bist. Für deine Mutter bedeutet es wirklich viel. Wie lange hast du vor zu bleiben?«
    Gute Frage. So konkret hatte sich Lorentz noch keine großen Gedanken darüber gemacht. Er würde bleiben, bis das alte Generve über Job, Zukunft und so weiter wieder anfangen oder bis die Langeweile in diesem Kaff ihn wieder zurücktreiben würde.
    »Nun ja«, sagte er. »Im Moment kann ich hier so oder so nicht weg. Mal sehen, wie lange es dauert, bis Landau nicht mehr von der Außenwelt abgeschnitten ist. Aber ich dachte, bis zum Wochenende.«
    Ja, drei Tage waren realistisch. Spätestens am Samstag würde seine Schmerzgrenze erreicht sein. Dann dürfte auch der Pass wieder frei sein.
    »Was gibt’s Neues bei dir und Mama, und was macht Oma?«, wollte Lorentz wissen.
    »Alles beim Alten. Es gibt, bis auf den Tod von Josef, keine großartigen Neuigkeiten. Du weißt ja, dass hier im Ort nicht viel los ist. Deine Mutter hat sich die letzten Tage sehr intensiv um Josefs Familie gekümmert und bei den Vorbereitungen für den Gedenkgottesdienst
morgen geholfen. Sie hat versucht, so viele nette Leute wie möglich aufzutreiben, damit die Feier nicht so trist wird.«
    Warum seine Mutter glaubte, dass eine Trauerfeier weniger deprimierend war, wenn viele Leute anwesend waren, blieb Lorentz ein Rätsel. Der Name allein sagte doch schon alles. Es war eine
Trauer
feier und keine Party. Außerdem war die Hauptperson, nämlich Joe, schon tot. Dem war es also egal, wie viele Menschen kamen. Aber wenn seine Mutter sich irgendetwas in den Kopf gesetzt hatte, dann hatte es keinen Sinn, sie von etwas anderem überzeugen zu wollen.
    Sein Vater parkte den Wagen vor dem Haus, und Lorentz stieg aus. ›Da wären wir also‹, dachte er und wurde sofort von einem unangenehmen Gefühl beschlichen. Er drehte sich um und konnte gerade noch sehen, wie im Haus vis-à-vis schnell ein Vorhang zugezogen wurde.
    »Die alte Frau Vogelmann lebt also auch noch«, stellte er fest. Frau Vogelmann, eine Nachbarin der Familie Lorentz, war steinalt und nicht mehr ganz richtig im Kopf. »Erzählt sie immer noch überall herum, ich sei vom Teufel besessen?« Lorentz hatte Frau Vogelmann als Kind häufig Streiche gespielt, und das hatte sie ihm nie verziehen.
    Sein Vater lachte nur. »Was heißt hier

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