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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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ziemlich wilde Geschichte, es wundert mich, dass du nichts davon gehört hast. Linda hat unten in Innsbruck als Psychiaterin gearbeitet. Eines Abends hat einer ihrer Patienten, ein alter, geistig anscheinend völlig verwirrter Kerl, ihr daheim aufgelauert und sie erwürgt«, erzählte Stefan.
    Andreas nickte. »Der Typ muss völlig hinüber gewesen sein. Er hat irgendwelche komischen Zeichen an die Wände gepinselt.«
    Stefan sah Lorentz an. »Du hast sicher geglaubt, dass wir in Landau vor Langeweile fast eingehen, aber wie du siehst, ist hier in der Umgebung fast mehr los als bei dir in der großen Stadt.«
    »Das ist wirklich ziemlich aufregend«, gab Lorentz zu. »Ich habe von dem Fall etwas in der Zeitung gelesen, aber nicht realisiert, dass das Ganze in Innsbruck geschehen ist und es sich dabei um Linda handelte.«
    »Das kommt davon, weil du mir nie richtig zuhörst«, meldete sich Lorentz’ Großmutter zu Wort. »Ich habe dich damals angerufen und dir von dem armen Mädchen erzählt.«
    ›Erwischt‹, dachte Lorentz. Im Laufe der Jahre hatte er gelernt, Omas Geschichten über Krampfadern, Gicht und den Zweiten Weltkrieg beim einen Ohr hinein und dem anderen wieder hinauszumanövrieren, ohne dass auch nur der kleinste Funken Information sein Hirn berührte. Seine Schwester Claudia beneidete ihn sehr um diese Fähigkeit. »Nein, Oma«, sagte Lorentz, »ich höre dir immer ganz genau zu. Ich habe das von dem armen Mädchen nur wieder vergessen, weil ich so viel zu tun hatte.« Seine Mutter kommentierte die Lüge mit ihrem Was-habe-ich-nur-bei-deiner-Erziehung-falsch-gemacht-Blick.
    »Zum Glück hat die Innsbrucker Polizei den Irren gleich erwischt und wieder weggesperrt«, lenkte Stefan ab und konnte dadurch einige Sympathiepunkte bei Lorentz ernten.
    »Und wer ist noch gestorben?«, fragte der, um die Aufmerksamkeit endgültig von sich und seinen Qualitäten als Sohn und Enkel abzuwenden.
    »Susanne«, sagte Andreas.
    »Susanne Simonis?«, fragte Lorentz entgeistert. »Die süße Susanne Simonis?«
    »Genau die. Sie war die Erste.«
    »In die war ich in der Unterstufe bis über beide Ohren verknallt«, gestand Lorentz.
    Andreas lachte. »Wer war das nicht?« Er hielt kurz inne und wurde wieder ernst. »Sie hat sich vor zwei Jahren aus dem Fenster gestürzt.«
    Lorentz nickte ein wenig betrübt und dachte an seine Schulzeit zurück. Er versuchte, sich die Gesichter von Linda Frank und Susanne Simonis ins Gedächtnis zu rufen.
    »Kennt ihr schon das neueste Gerücht?«, riss ihn Stefan aus seinen Gedanken. Er senkte seine Stimme und sprach, ohne eine Antwort abzuwarten, weiter. »Anscheinend hat jemand die Zahl Zwölf in Joes Leichnam eingeritzt«, flüsterte er und sah sich verschwörerisch um.
    »Ach was! Wo hast du denn den Blödsinn her?«, wollte Andreas wissen.
    »Aus einer sicheren Quelle«, verteidigte sich Stefan. »Nämlich von der Schubert. Sie war immerhin diejenige, die die Leiche gefunden hat.«
    Lorentz und Andreas schauten ihn mit großen Augen an.
    »Und es kommt noch besser«, fuhr Stefan fort. »Die Schubert hat beim dicken Otto auf der Wache einen Bericht gesehen, in dem stand, dass Joe mit zwölf Messerstichen getötet wurde. Gruselig, findet ihr nicht? Sie hat auch gemeint ...« Stefan hörte abrupt auf
zu erzählen, als er sah, dass Iris sich näherte. Er räusperte sich und versuchte schnell ein anderes Thema aufzubringen. »Also, Indiana Jones, erzähl uns doch einmal etwas über deinen letzten großen Fund.«
    »Servus ihr drei«, sagte Iris mit dünner Stimme. »Es freut mich, dass ihr da seid.« Sie lächelte, und Lorentz stellte noch einmal fest, dass sie trotz der verweinten Augen ausgesprochen gut aussah.
    »Tut mir leid, das mit Joe«, murmelte er verlegen, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte.
    »Es ist sehr schön, dass du gekommen bist«, sagte Iris. »Joe hat oft von dir gesprochen.« Sie schaute ihm in die Augen, und Lorentz fühlte, wie er erstarrte.
    »Ehrlich?«, fragte er.
    »Ja«, sagte Iris. »Joe war nicht sehr glücklich in letzter Zeit, musst du wissen. Er hat öfter davon gesprochen, wie lustig und schön eure gemeinsame Zeit war. Ich glaube, er hat es oft bereut, dass er damals nicht mit dir gegangen ist. Es freut mich darum wirklich sehr, dass du hier bist.«
    In Lorentz’ Hals bildete sich ein Kloß. Die blöde, affektierte Kuh war doch tatsächlich nett. Sie fand es schön, dass er da war. Er, der ihr jahrelang die Pest an den Hals gewünscht

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