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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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wie geht’s dir denn so?«, fragte er und wollte sich für diesen Satz im selben Moment, da er ihn ausgesprochen hatte, am liebsten selber ohrfeigen. »Ich meine natürlich unter diesen Umständen.« Was redete er denn nur für einen Stuss daher? »Nettes Haus.«
    »Ist schon gut«, sagte Iris. »Die meisten Leute wissen nicht, was sie sagen sollen. Die Situation ist ihnen unangenehm und peinlich. Sie bedauern mich und sagen mir, wie leid ihnen alles tut, aber in Wirklichkeit sind sie einfach nur froh, dass es nicht ihnen passiert ist.« Sie starrte durch Lorentz hindurch, der zutiefst hoffte, dass sie jetzt nicht anfing zu weinen. »Ich weiß nicht, ob es an den Sternen liegt oder ob irgendwer diesen Ort verflucht hat«, redete Iris weiter, »aber es passieren in letzter Zeit so viele schlimme Dinge.«
    Es schien so, als würde sich zumindest einer von Lorentz' Wünschen erfüllen. Iris heulte nämlich nicht los, sondern versuchte zu lächeln.
    So viele Stunden seines Lebens hatte er damit verbracht, diese Frau abgrundtief zu verabscheuen, und jetzt, da sie wirklich und wahrhaftig vor ihm saß, verspürte er nur Mitleid für sie und – ganz versteckt – vielleicht sogar ein klein wenig Sympathie.
    »Ich hoffe, ich mache dir keine Umstände«, sagte er. »Wenn ich dich bei irgendetwas störe oder dich von etwas abhalte, dann kann ich auch wieder gehen.« ›Bitte sag ja und schick mich weg‹, flehte er im Geiste, da ihn die ganze Situation nach wie vor peinlich berührte und verwirrte.
    »Nein, Leander, ganz im Gegenteil«, sagte Iris und sah ihn mit großen Augen an. »Ich freu mich sehr, dass du da bist.« Sie kippte ihren Cognac auf ex und schenkte sich sofort ein neues Glas ein. Lorentz machte es ihr nach.
    Auf einem kleinen Tischchen neben der Couch entdeckte er
einige Fotos. Eines davon zeigte Joe und ihn am Strand – es musste bei einem ihrer gemeinsamen Urlaube aufgenommen worden sein. Lorentz konnte sich nicht mehr erinnern, wann und wo das Foto entstanden war. Hätte er das Bild noch ein wenig länger betrachtet, wäre er vielleicht noch draufgekommen, aber er sah plötzlich alles verschwommen, da sich seine Augen mit Tränen füllten.
    Er hasste sich dafür, dass er es nicht unterdrücken konnte, er hasste Iris, weil sie ihn so sah, und Joe hasste er dafür, dass er tot war.
    Iris zündete sich eine Zigarette an und hielt Lorentz die Packung unter die Nase. Er nahm sich eine heraus, und nachdem er den ersten Zug genommen hatte, spürte er erleichtert, wie das Nikotin durch seinen Körper strömte und ihn beruhigte.
     
    Als Lorentz sich ein wenig später von Iris verabschiedete, fühlte er sich so mies und verwirrt wie schon lange nicht mehr. Er war anscheinend doch keiner von den Guten. Jahrelang hatte er nur schlecht von Joe gedacht. Und dabei war er es doch gewesen, der seiner Mutter gedroht hatte, er würde als Transvestit verkleidet zu Omas 80 . Geburtstag erscheinen, wenn sie irgendwem in Landau seine neue Telefonnummer verriet.
    Während Joe sogar ein Foto von ihm in seinem Wohnzimmer stehen hatte und nur nett über ihn sprach, hatte Lorentz kein gutes Haar an seinem ehemaligen Freund gelassen.
    Auf dem Weg nach Hause überlegte er fieberhaft, was er nur tun könnte, um seine Gewissensbisse loszuwerden und einiges bei Joe wiedergutzumachen – post mortem sozusagen. Er musste handeln, irgendetwas tun. Aber was?
    Die Idee traf ihn wie ein Blitz. Hatte Stefan ihm nicht erzählt, dass Otto Morell die Ermittlungen zum Tod von Joe leitete? Lorentz war zwar ein paar Jahre jünger als der Chefinspektor, aber er konnte sich noch sehr gut an den dicken, unbeholfenen Jungen erinnern,
der bei den Pfadfindern der totale Oberversager gewesen war. Ob dieser träge Fleischklops der Situation gewachsen war? Vielleicht konnte er ja ein bisschen Hilfe gebrauchen. Schließlich war Lorentz es als Archäologe gewohnt, Spuren zu sichern und zu interpretieren. Das war es! Er würde dabei helfen, denjenigen zu finden, der Joe und Iris das angetan hatte.
    Lorentz bog also kurz vor seinem Elternhaus rechts ab und marschierte schnurstracks in Richtung Polizeirevier.
     
    Er klopfte sich ein paar Schneeflocken von den Schultern und nahm seine Mütze ab, als er die Wachstube betrat. Draußen hatte es wieder begonnen zu schneien.
    Morell stand gerade im Vorzimmer und versuchte Bender, der schon mindestens zwei Kannen Kaffee intus hatte, davon abzuhalten, eine dritte aufzubrühen. Er war erstaunt, als ausgerechnet Lorentz

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