Die Zahl
als Andreas Adam und Stefan de Vries den Kirchenwirt verließen. Um genau zu sein, war es bereits kurz nach zwölf, und sie gingen nicht freiwillig aus der gemütlichen Gaststube. Christian hatte sie rausgeworfen. »Sperrstunde«, hatte er zum wiederholten Mal gesagt und irgendwann einfach das Licht abgedreht.
Andreas und Stefan waren den ganzen Nachmittag und Abend im Wirtshaus klebengeblieben. Sie hatten nett geplaudert, Karten gespielt, ein Bier nach dem anderen gekippt und darüber ganz die Zeit vergessen.
Als sie endlich einsahen, dass Christian nicht mehr zu überreden war, noch einen letzten Schnaps auszuschenken, machten sie sich, ein wenig wackelig auf den Beinen, auf den Weg nach Hause.
Draußen war es stockdunkel. Die Luft war klirrend kalt, und es schneite große, schwere Flocken, die wie zuckerglasierte Cornflakes vom Himmel fielen.
»Verfluchtes Sauwetter«, schimpfte Andreas und sah zu, wie Stefan langsam heimwärts schwankte. Er selbst blieb vor dem Kirchenwirt stehen und zündete sich noch eine letzte Zigarette an. Er
hatte keine Lust, nach Hause zu gehen. Beate würde dort auf ihn warten. Und sie würde sauer sein – sehr sauer. Wie oft hatte sie schon herumgekeift, er solle nicht so viel trinken, sich mehr um die Familie und weniger um seine Freunde kümmern.
Zum Glück hatte der viele Schnee einen Großteil der Funkmasten außer Gefecht gesetzt, sodass sein Mobiltelefon die meiste Zeit nicht funktionierte. Ansonsten hätte Beate ihn sicherlich schon zigmal angerufen. So konnte er zumindest die Tatsache entschuldigen, dass er sich nicht gemeldet hatte. Ich wollte dich ja anrufen, um dir zu sagen, dass ich ein wenig später heimkomme, aber das Handy hat leider nicht funktioniert.
Andreas machte einige Schritte und merkte, dass er sehr unsicher auf den Beinen war. Ihm war ein wenig schwindelig – alles drehte sich leicht. Er hatte eindeutig zu viel getrunken! Das Auto würde er stehen lassen und zu Fuß nach Hause laufen müssen. Glücklicherweise war es nicht weit.
Er würde den kleinen Fußweg nehmen, der durch ein paar Wiesen am Bach entlangführte. Die frische Luft und ein wenig Bewegung taten ihm sicherlich gut, und er konnte ein wenig ausnüchtern, bevor er Beate gegenübertreten musste.
Er nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette, überquerte die Straße und begann langsam durch den tiefen Schnee zu stapfen.
Der kleine Pfad war vom Schneepflug nicht geräumt worden und zudem auch nicht beleuchtet. Aber es war eine Abkürzung, und Andreas war diesen Weg schon so oft gegangen, dass er jede Biegung und jede Abzweigung wie seine Westentasche kannte und darum auch um diese Zeit und in diesem Zustand ohne Probleme nach Hause finden würde.
Es herrschte absolute Stille, und abgesehen von dem Knirschen, das seine Schritte verursachten, durchbrach kein einziges Geräusch das Dunkel. Nicht nur die Natur hielt ihren Winterschlaf. Seit Landau eingeschneit war, war in dem kleinen Ort noch viel weniger los als sonst. Sowohl die Einheimischen als auch die Touristen
blieben bei den Temperaturen, die draußen herrschten, lieber daheim, kuschelten sich ins Bett, lagen vor dem Kamin, nahmen ein heißes Bad oder sahen fern. Niemand ging nachts nach draußen, sofern er nicht musste.
Andreas hasste diese Kälte. Er war ein Sommertyp und liebte die Sonne. Wie gerne hätte er diese Schneemassen gegen ein paar Sanddünen und die dicken Winterklamotten gegen ein paar Shorts getauscht.
Er fröstelte, verkroch sich noch tiefer in seiner dicken Felljacke, rieb seine klammen Finger gegeneinander, wickelte den Schal, den Beate ihm gestrickt hatte, über Mund und Nase und zog die Mütze tiefer in die Stirn.
So dick eingemummt konnte er die Gestalt, die plötzlich hinter ihm auftauchte, unmöglich sehen oder hören. Was er aber sehr wohl wahrnahm, war der dumpfe Schlag, der seinen Hinterkopf mit ziemlicher Wucht traf.
Andreas taumelte und versuchte verzweifelt, nicht zu fallen, konnte den Sturz aber nicht verhindern. Zum Glück wurde der Aufprall ein wenig durch den tiefen Schnee gemildert. Er fand sich völlig desorientiert am Boden liegend wieder und war sich nicht sicher, ob der Schlag den Sturz oder der Sturz den Schlag verursacht hatte. Sein Hirn arbeitete zu langsam. Er fühlte sich wie betäubt, konnte aber nicht einordnen, ob dieser Dämmerzustand vom Alkohol oder dem stechenden Schmerz an seinem Hinterkopf hervorgerufen wurde.
Er fühlte sich benebelt und verwirrt, und alles wurde noch viel
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