Die Zahl
der Idee, schon wieder alleine im Revier bleiben zu müssen, alles andere als begeistert gewesen, hatte aber seinen Mund gehalten, als er das angespannte Gesicht seines Vorgesetzten sah.
»Was ist los?«, fragte Capelli, als Morell kurz vor dem Waldrand in einen kleinen Weg abbog. »Fahren wir nicht in den Wald?«
»Doch, doch, aber ich habe keine Ahnung, in welchem Zustand die Zufahrtswege sind. Wir werden vielleicht einen Geländewagen brauchen«, Morell stockte kurz, »und Schaufeln.«
»Und das kriegen wir alles hier?« Capelli deutete auf den alten Bauernhof, den Morell ansteuerte.
»Ja, hier wohnt Erich Altmann, ein Freund von mir. Er ist Jäger und Förster und hat alles, was wir benötigen.« Morell parkte seinen Golf und stieg aus.
Capelli folgte ihm zu der großen hölzernen Haustür, die mit schweren Eisenscharnieren beschlagen war. Der Chefinspektor läutete.
»Grüß dich, Otto, na das ist aber eine Überraschung«, sagte Altmann
sichtlich erfreut, als er die Tür öffnete. »Und in charmanter Begleitung bist du auch.« Er zwinkerte Capelli zu.
»Dr.Nina Capelli – Erich Altmann«, stellte Morell die beiden kurz vor. »Erich, ich bräuchte ...«
»Aber kommt doch erst einmal ins Warme!« Der Förster trat einen Schritt zur Seite. »Immer nur rein mit euch.«
»Es tut mir leid, Erich, aber wir haben keine Zeit«, sagte Morell. »Ich erkläre dir ein anderes Mal, was los ist.«
»Otto Morell im Stress, das erlebt man auch nicht alle Tage«, sagte Altmann sichtlich verwundert. »Was kann ich für dich tun?«
»Ich muss dringend in die Nähe der Sebastianswiese. Warst du in letzter Zeit mal dort?«
Altmann schüttelte den Kopf. »Nicht in dieser Jahreszeit. Das ist doch ein recht abgelegenes Fleckchen. Ich war in den letzten Tagen öfters am Hochstand beim Aussichtspunkt und drüben an der großen Lichtung, um die Tröge für die Wildfütterung aufzufüllen, aber in der Nähe der Sebastianswiese war ich nicht. Was willst du denn da draußen?«
Morell überlegte kurz, ob er seinem Freund die Wahrheit sagen sollte, entschloss sich dann aber, seine Befürchtungen lieber für sich zu behalten. Sehr wahrscheinlich war es sowieso nur falscher Alarm. »Ich muss nur etwas nachsehen«, sagte er daher.
»Da draußen gibt es aber außer Bäumen und Schnee nichts zu sehen.« Altmann schaute Morell verschwörerisch an. »Du willst doch wohl nicht heimlich wildern gehen?«
Morell konnte über den Scherz nicht lachen. »Bitte, Erich, ich habe es wirklich eilig. Frag einfach nicht.«
Der Förster war ein wenig verwundert über die plötzliche Hast seines ansonsten so gemütlichen Freundes. »Schon gut, schon gut, ich weiß ja, dass du der Letzte bist, der mir da draußen etwas anstellt.« Er wandte seinen Blick zu Capelli. »Unser Otto hier ist nämlich Vegetarier.« Er sprach das Wort ›Vegetarier‹ mit so viel Abscheu aus, wie es nur ein passionierter Jäger tun konnte.
»Können wir deinen Wagen nehmen?«, fragte Morell.
»Herrgottsakrament! Na, du bist mir ja einer. Erst erzählst du mir nicht, was du da draußen vorhast, und dann willst du für deine Missetaten auch noch mein Auto.« Altmann schüttelte den Kopf. »Aber gut, komm mit!«
Morell folgte ihm, während Capelli in der Einfahrt wartete.
»Die borge ich mir auch noch aus, ja?« Morell griff nach zwei Schaufeln, die an einer Wand in der Garage lehnten.
»Ich frage jetzt nicht, wofür du die brauchst«, sagte Altmann, »obwohl es mich saumäßig interessieren würde.«
Morell nickte dankbar. Er lud die Schaufeln in den Kofferraum, nahm von seinem Freund den Schlüssel in Empfang, fuhr langsam aus der Garage und ließ Capelli einsteigen.
»Dem Herrgott sollen seine drei besten Erzengel verrecken, wenn da nicht was faul ist«, murmelte Erich Altmann, schaute dem Wagen nach und ging zurück ins Haus.
Nach nur wenigen Minuten Fahrt waren die letzten Häuser von Landau verschwunden, und Morell steuerte den Wagen durch eine menschenleere Schneelandschaft.
Die Straße verengte sich bald zu einem holprigen, kleinen Weg, der leicht bergauf durch einen Wald führte. Obwohl sehr viel Schnee lag, war der kurvige Pfad relativ gut befahrbar. Allerdings hatten Neuschnee und Wind dafür gesorgt, dass man nicht mehr erkennen konnte, ob hier vor kurzem ein Auto gefahren war.
Im Wagen herrschte eine bedrückende Stille. Weder die Gerichtsmedizinerin noch der Chefinspektor sprachen ein Wort.
Morell betete im Stillen, dass alles nur ein dummer
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