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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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es etwas anderes als ein Mensch sein könnte.
    Dieser letzte Funke Hoffnung verglühte, als Morell eine gefesselte Hand entdeckte. Er hatte das Gefühl, dass sein Herz kurz stehen blieb.
    »Verdammt«, schrie er. »So eine verdammte Scheiße!« Er entfernte sich einige Schritte von der Grube, warf die Schaufel weg und ließ sich einfach in den Schnee fallen. »Was soll dieser Mist«, brüllte er. »So ein elender Dreck!« Dann legte er die Hände aufs Gesicht und fing an zu schluchzen. Als wäre ein Damm gebrochen, ließ er all die Anspannung und den Druck, der sich in den letzten Tagen angestaut hatte, einfach herausfließen.
    Capelli wusste nicht, was sie tun sollte, darum machte sie kurzerhand damit weiter, den Leichnam von Andreas Adam freizulegen. Sie fing bei den Beinen an und arbeitete sich bis zum Hals vor. Dann begann sie langsam, auch den Kopf vom Schnee zu befreien.
    Der Körper des Opfers war gefroren, hart und steif. Das Gesicht, vor allem die Lippen, war blau angelaufen, und im Bart des Mannes, der vor ihr lag, hatten sich kleine Eiskristalle gebildet.
    Viele Tote, mit denen sie zu tun hatte, kamen aus der Kühlkammer. Sie war den Anblick von gefrorenem Fleisch daher gewohnt. Ihre Ötzis, wie sie sie nannte, erinnerten sie immer an Schneewittchen in ihrem Glassarg. Sie waren wie Statuen, gefangen in einem Meer aus Eis: schockgefroren und konserviert. Ein Augenblick, festgehalten durch die Kälte – ein verewigter Moment fast wie ein Schnappschuss. Mit ruhiger Hand entfernte sie den Schnee vom Antlitz des Toten und erstarrte.
    Auf der Stirn des Mannes prangten ein riesiges X und zwei II .
    Da war sie wieder, die verdammte Zwölf.
     
    Morell versuchte verzweifelt, sich wieder einzukriegen. Aber er schaffte es nicht.
    Er war so überwältigt von Angst, Wut und Hass, dass er am liebsten alles hinschmeißen und weit wegrennen wollte. Er wollte diesen Fall nicht, sondern Ruhe und Frieden. Er wollte aus diesem Albtraum aufwachen, ins Revier fahren und in aller Gelassenheit herausfinden, wer den Engeln vor dem Rathaus einen Bart gemalt hatte.
    Diese elende Leiche sollte verschwinden, sich in Luft auflösen. Wenn er das nächste Mal hinsah, dann würde sie einfach nicht mehr da sein. Also schloss Morell seine Augen und öffnete sie wieder.
    Alles war unverändert. Vor ihm war die Grube, in der Andreas Adam lag, und daneben stand Capelli, die sich nicht traute, zu ihm herüberzuschauen.
    Er wischte sich den Rotz aus dem Gesicht und ging langsam zu ihr. Bei dem Anblick der Zwölf auf Adams Stirn wollte er am liebsten gleich wieder losschreien. Er hatte zwar mit so etwas gerechnet, aber die Gewissheit war trotzdem furchtbar.
    »Er hat eine Wunde am Hinterkopf, die von einem Schlag mit einem stumpfen Gegenstand kommen könnte«, sagte Capelli, die versuchte, den Anfall des Chefinspektors zu ignorieren. »Soweit ich das auf den ersten Blick beurteilen kann, ist die Todesursache aber Ersticken.« Sie zeigte auf Adams Gesicht. »Diese kleinen Flecken sind sogenannte Stauungsblutungen, die sind typisch bei dieser Art des Todes. Ich bin sicher, ich werde noch mehr davon in den Augenbindehäuten und der Mundschleimhaut finden.«
    »Er wurde also wirklich lebendig begraben?«, fragte Morell, der wegen der Nüchternheit der Gerichtsmedizinerin langsam seine Fassung wiedergewann.
    Capelli nickte. »Wir brauchen einen großen Wagen, um die Leiche ins Dorf zu transportieren. Am besten, wir sagen deinem Assistenten Bescheid.«
    »Ja, ich ruf ihn an.« Morell war dankbar, dass die kleine, zierliche Frau die Nerven nicht verloren hatte und einen klaren Kopf behielt.
    »Falls das Handy keinen Empfang hat, fährst du einfach aufs Revier und veranlasst alles. Ich werde solange hier warten.«
    »Ist gut«, sagte Morell.
    »Wie kann man eigentlich bei diesen Temperaturen ein Loch graben? Ist der Boden nicht total vereist?«
    »Doch, der Boden ist pickelhart, aber da, wo die Leiche liegt, ist eine kleine Senke. Der Mörder musste Andreas einfach nur hineinlegen und Schnee auf ihn draufschaufeln. Ein sehr geschützter Platz. Wenn wir ihn nicht gefunden hätten, dann wäre er sicher bis zum Frühling dort liegen geblieben.«
    »Verstehe. Aber irgendwer wollte, dass wir die Leiche finden.«
    »Stimmt.« Morell fischte sein Handy aus dem Mantel. »Und dieser Jemand wollte auch, dass wir unbedingt das da sehen.« Er zeigte auf die Stirn des Opfers. »Der Mörder will uns damit irgendetwas sagen, aber wir verstehen es nicht.«
    Der

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