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Die Zahlen Der Toten

Die Zahlen Der Toten

Titel: Die Zahlen Der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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Kleidung gefunden?«
    »Nicht ein Fetzen.«
    »Ich glaube, er behält die Kleider.«
    »Und warum?«
    »Es sind seine Trophäen.«
    »Das ist Ihr Gebiet, nicht meins.«
    »Wann machen Sie die Autopsie?«
    »Gleich morgen früh.«
    Ich warte ungern so lange, doch das liegt an meiner Verzweiflung. Man muss auch mal essen und schlafen und mit der Familie zusammen sein. »Rufen Sie mich an? Ich möchte dabei sein.«
    »Kate, warum wollen Sie sich das antun?«
    Vielleicht ist das eine der vielen Methoden, mich selbst zu bestrafen, denke ich. Für das, was ich getan – oder nicht getan – habe. »Wir sehen uns morgen früh.«
    Ich lege auf. Um mich herum bricht die Dämmerung an, grau und trüb. Zu meiner Rechten improvisieren Kinder in der traditionellen Amisch-Kluft – schwarzer Mantel, breitkrempiger Hut für Jungen, Kopftuch für Mädchen – ein Hockeyspiel auf dem Teich an der Straße. Einen Moment lang trägt mich die Szene zurück in meine eigene Kindheit, eine Zeit, in der ich nie allein gewesen bin und nicht wusste, was Einsamkeit ist. Mein Leben bestand aus Familie, Gottesdienst, Hausarbeit – und Spielen, sooft es ging. Bis zu dem Tag, an dem Daniel Lapp die Gewalt in meine Welt brachte, war ich ein glückliches, gut angepasstes Amisch-Mädchen, sorglos und mit einer verheißungsvollen Zukunft. Doch diese einfachen Zeiten scheinen nun tausend Leben weit weg.
    Als ich an den Kindern vorbeifahre, empfinde ich schmerzlich meine Einsamkeit und die Sehnsucht nach dem, was ich verloren habe. Meine Eltern, meine Geschwister. Ein Teil von mir, den ich nie wieder zurückgewinnen werde. Ich winke den Kindern. Ihre lächelnden Gesichter machen mir Mut. Im Rückspiegel sehe ich, dass sie ihr Spiel fortsetzen, und ich verspüre das Bedürfnis, sie zu beschützen.
    Meine Schwester Sarah und ihr Mann leben im letzten Haus am Ende einer Sackgasse. William hat den Weg freigeräumt, wahrscheinlich mit seinem vom Pferd gezogenen Pflug. Selbst in der Amisch-Gemeinde gilt er als konservativ. Während mein Bruder Jacob einen Traktor benutzt, hängt William der traditionellen Pferdestärke an, was zwischen den beiden Männern schon öfter zum Streit geführt hat.
    Eine akkurate Reihe Blautannen, die Zweige mit Schnee beladen, säumt den Weg. Die massive, einstöckige Scheune mit dem halben Dutzend Fenstern an der Vorderseite und vier Gauben auf dem Blechdach ist an einen felsigen Hang gebaut. Obwohl nicht schriftlich belegt, soll sie zweihundert Jahre alt sein, also aus jener Zeit stammen, als Scheunen noch das Zentrum des ländlichen Lebens und architektonische Meisterwerke waren. In unserer Kindheit hatten meine Eltern uns oft mit hierher genommen. Ich habe Hühner gejagt, Verstecken gespielt und Kälbchen mit der Flasche gefüttert. Einmal war ich vor lauter Übermut von einer Heurutsche gesprungen und hatte mir den Knöchel verstaucht.
    Ich parke hinter dem Pferdeschlitten, an dem ein »Langsam fahrendes Vehikel«-Schild im Licht meiner Scheinwerfer kurz aufleuchtet. Die vom gelben Laternenlicht erhellten Fenster vermitteln eine gemütliche, einladende Atmosphäre. Doch wie bei meinem Bruder, erwarte ich auch hier keinen herzlichen Empfang.
    Ich gehe zur Eingangstür, klopfe und habe kaum genug Zeit, meine Gedanken zu ordnen, als die Tür schon von meiner älteren Schwester geöffnet wird. »Katie.« Sie flüstert meinen Namen, als wäre er ein verbotenes Wort. Ihr Blick huscht zur Seite, um mir zu sagen, dass William im Haus ist. »Komm herein ins Warme.«
    Der Duft von gekochtem Kohl und frisch gebackenem Hefebrot steigt mir in die Nase und macht mich hungrig. Aber man wird mich nicht zum Abendessen einladen. Im Wohnzimmer, das von einer Petroleumlampe beleuchtet wird, stehen ein großer, selbst gezimmerter Tisch und eine Bank. An der Wand gegenüber hängt in der Mitte eine gerahmte Gobelinstickerei, die meiner
Mamm
gehört hatte. Die Initialen unserer Urgroßeltern sind in den Stoff gestickt, neben ein paar Haarlocken. Ich erinnere mich, wie ich früher mit den Fingern über die Locken gestrichen und mich gefragt habe, wie die Menschen wohl waren, denen sie einmal gehört hatten.
    »Komm mit in die Küche«, sagt Sarah.
    Ich folge ihr in die Küche, wo ihr Mann über einen Suppenteller gebeugt sitzt.
    »Hallo, William«, sage ich.
    Er ist bei meinem Eintreten aufgestanden und neigt jetzt leicht den Kopf. »Guten Abend, Katie.«
    »Es tut mir leid, dass ich euch beim Abendessen störe.«
    »Du kannst gern eine Suppe

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