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Die Zahlen Der Toten

Die Zahlen Der Toten

Titel: Die Zahlen Der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
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auf dem Gelände einer stillgelegten Getreidefabrik hielt. Neugierig geworden, beobachtete er, wie der Explorer hinter dem Gebäude verschwand. John parkte in einhundert Meter Entfernung und stellte den Motor aus.
    »Was hast du vor, Kate?«, flüsterte er.
    Doch als Antwort erhielt er nur ein Graupeltrommeln auf der Windschutzscheibe und ein beharrlich nagendes Misstrauen in seinem Bauch.
    · · ·
    Ich weiß, es ist ein Fehler, hierher zu kommen. Wahrscheinlich grabe ich bis zum Umfallen, entmutigt und mit steif gefrorenen Händen, und finde trotzdem nicht, wonach ich suche. Doch irgendwie möchte ich glauben, dass Daniel Lapps Leiche mich von dem Vorwurf freisprechen kann, niemandem erzählt zu haben, dass er der Mörder sein könnte.
    Ausgestattet mit Schaufel, Spitzhacke und MagLite betrete ich die Anlage durch die Hintertür. Jetzt da ich allein hier bin, kommt mir alles anders vor. Draußen rüttelt der Wind an den losen Blechplatten und pfeift durch jede Ritze, erfüllt die Luft mit dem unheimlichen Ächzen und Stöhnen eines Geisterhauses.
    Die Kälte beißt mir ins Gesicht, als ich zum vorderen Teil des Gebäudes gehe. Obwohl ich auf dem Land aufgewachsen bin, habe ich nie ganz begriffen, wie ein Getreidespeicher funktioniert. Doch nach der Nacht mit Jacob habe ich im Internet recherchiert und weiß jetzt zumindest ein paar grundlegende Dinge. Vor fünfzig Jahren sind die mit Weizen oder Korn beladenen Lastwagen unter dem Rolltor durch zuerst auf die Waage gefahren, wo sie gewogen wurden. Danach fuhren sie weiter zur »Grube«, wo sie ihre Ladung reinkippten. Die leeren Lastwagen wurden wieder gewogen und der Fahrer für das so festgestellte Gewicht seiner Ladung bezahlt.
    »Und wo ist die Scheißgrube?«, sage ich laut.
    Eine Windböe lässt das Rolltor klappern, und Graupeln trommeln an die Blechverkleidung. Ich leuchte mit der Taschenlampe den Bereich um die Waage ab, in deren Nähe die Grube sein müsste. Da für mich alles gleich aussieht, lege ich die Taschenlampe beiseite und stoße die Schaufelspitze an der Stelle in den Boden, wo die Lastwagendurchfahrt gewesen sein muss. Und erzeuge einen hohlen Ton. Sofort kratze ich mit der Schaufel die trockene Erde weg, und morsches Sperrholz kommt zum Vorschein. Ich knie mich hin und fange wie eine Verrückte an mit beiden Händen zu graben. Mein Keuchen hallt von den Wänden wider, und die Erkenntnis, dass es von mir kommt, macht mir Angst. Ich lege das Brett frei und hieve es zur Seite. Hoffnung erfüllt mich, als mein Blick auf ein rostiges Gitter fällt. Die Grube ist ungefähr zwei Meter vierzig im Quadrat und drei Meter sechzig tief. Die Schachtstreben wurden vor langem entfernt, aber das Loch nie zugeschüttet. Ich nehme die Taschenlampe und leuchte in die Grube, sehe Betonbrocken, Dreck, Schotter und kaputte Bretter.
    Mit der Schaufel versuche ich, das Gitter anzuheben, doch das schwere Metall lässt sich nicht bewegen. Im Winter habe ich immer ein Seil im Auto, womit ich liegengebliebene Autos aus dem Schnee ziehen kann, und mir kommt die Idee, das Gitter damit anzuheben. Ich hole die Schlüssel aus der Tasche, laufe zum Explorer und fahre rückwärts in die Halle, befestige ein Seilende am Auto und das andere am Gitter. Zurück hinterm Lenkrad, stelle ich auf Allradantrieb um und trete aufs Gas. Das Seil spannt sich, der Motor jault auf, die Räder drehen erst durch, dann greifen sie und das Gitter hebt sich kreischend aus seinem uralten Bett.
    Ich ziehe es ungefähr einen Meter weit von der Grube weg, stelle den Motor ab und steige wieder aus. Mit der Taschenlampe leuchte ich ins Loch. Es ist zu tief, um reinzuspringen, einen gebrochenen Knöchel brauche ich jetzt wirklich nicht. Aber ich kann an dem Seil runterklettern! Ich löse es vom Auto und werfe das Ende in die Grube, die Schaufel gleich hinterher, setze mich an den Grubenrand und lasse mich daran hinab. Es riecht nach Erde, Staub und Moder. Sowie ich Boden unter den Füßen spüre, leuchte ich mit der Taschenlampe die Grube aus. Eine Ratte huscht über verrottete Bretter.
    Die Schaufel liegt nicht weit von mir entfernt bei einem Holzhaufen, ich hebe sie auf und stupse ihn damit an. Ich habe keine übertriebene Angst vor Nagetieren, aber keine Lust, von einem angesprungen zu werden. Dann fange ich an, im Schein der Taschenlampe, die auf einem Betonbrocken liegt, die Bretter auseinanderzuziehen. Staub fliegt mir in Nase und Augen, doch das hält mich nicht auf. Ich hebe ein Blech hoch und

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