Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zahlen Der Toten

Die Zahlen Der Toten

Titel: Die Zahlen Der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Castillo
Vom Netzwerk:
werfe es zur Seite. Ein großes Stück morsches Holz zerbröselt mir unter den Händen. Plötzlich fällt mein Blick auf mehrere kleine helle Gegenstände, die im Dreck liegen.
    Ich schnappe mir die Taschenlampe, und das Blut stockt in meinen Adern, als mir klar wird, dass es Zähne sind. Ganz in der Nähe liegt ein zerlumpter Stofffetzen. Sind das die Überreste von Daniel Lapp? Ich gehe in die Hocke, um besser sehen zu können, und finde mehrere Rippen, die noch am Rückgrat fest sind. Dann entdecke ich den Schädel und weiß: Daniel Lapp ist tot. Aber diese Gewissheit erfüllt mich mit einer eigentümlichen Mischung aus Erleichterung und Grauen. Damals, vor sechzehn Jahren, war ich
sicher
gewesen, dass er die Frauen ermordet hatte. Aber wenn Daniel es nicht gewesen ist, wer dann?
    Ich weiß nicht, wie lange ich hier stehe. Es ist, als hätte die Erkenntnis mich paralysiert. Die logische Hälfte meines Verstandes sagt mir, diesen Teil meiner Vergangenheit zu begraben und nach Hause zu fahren. Lapp zu vergessen und mich auf die Suche nach dem Mörder zu machen. Zu retten, was noch von meiner Polizeikarriere zu retten ist. Ich bedecke die Überreste mit Holz, dann klettere ich langsam aus der Grube, was ausgesprochen mühsam ist trotz meiner guten körperlichen Verfassung. Ich habe es fast geschafft, als sich oben am Rand etwas bewegt. Zu groß für einen Hund oder Waschbären. Da ist jemand. Vor Schreck lasse ich um ein Haar das Seil los. Ich zittere am ganzen Leib und suche verzweifelt nach einer Erklärung.
    Ist mir jemand gefolgt?
    Ich blicke hinauf, sehe aber nichts mehr. Mein Atem rasselt mir in den Ohren, meine Hände schmerzen vom Umklammern des Seils. Die Pistole nützt mir nichts, so wie ich hier in dem Loch hänge. Wenn jemand mir was antun will, ist jetzt die beste Gelegenheit.
    Wie besessen klettere ich weiter nach oben, stoße die Stiefelspitzen in die Wand und Erde fällt nach unten. Meine Arme schmerzen vor Anstrengung.
    Schwer atmend schaffe ich es schließlich bis zum Rand und ziehe mich aus der Grube. Zitternd und keuchend rappele ich mich auf die Füße, sehe mich um – und erstarre. John Tomasetti steht keine drei Meter von mir entfernt, in einer Hand die Taschenlampe und in der anderen die glänzende Sig-Sauer-Halbautomatik. Unsere Blicke treffen sich kurz, dann leuchtet er mir mit der Taschenlampe voll ins Gesicht.
    »Suchen Sie etwas?«, fragt er.
    Ich durchwühle mein Hirn nach einer Lüge. Mein Puls dröhnt wie ein Düsentriebwerk beim Abheben. Kaum vorstellbar, wie bizarr ihm mein Verhalten vorkommen muss.
    Ich bin von Kopf bis Fuß dreckig und sehe wahrscheinlich so fertig aus wie ein Junkie nach einer dreiwöchigen Drogenorgie. Doch wenigstens kann ich schnell denken. »Ich gehe einem Hinweis nach.« Ich schlage mir demonstrativ den Dreck von der Hose. »Und was machen Sie hier?«
    Er ignoriert meine Frage und leuchtet mit der Taschenlampe in die Grube. »Hinweis worauf?«
    Ich will nicht, dass er in die Grube sieht, habe die Knochen womöglich nicht richtig zugedeckt. Ich will nur so schnell wie möglich das Gitter an die alte Stelle ziehen und verschwinden. »Illegale Müllentsorgung. Ein anonymer Anruf, der Typ hat behauptet, jemand hätte Farbe und Lösungsmittel hier entsorgt.«
    Es ist eine brauchbare Lüge, die ein simpler Verstand geschluckt hätte. Doch den besitzt John Tomasetti leider nicht. Er glaubt mir kein Wort, das sehe ich ihm an.
    »Haben Sie etwas gefunden?«
    »Nichts.« Ich ziehe das Seil aus der Grube und gehe zum Explorer. »Wahrscheinlich ein Spinner. Teenager. Kommt hier öfters vor.«
    »Vielleicht sollte ich auch einen Blick reinwerfen.«
    »Da unten gibt’s nichts weiter als Ratten.« Doch mir ist klar, dass Tomasettis Anwesenheit kein Zufall sein kann. Er ist nicht einfach hier vorbeigekommen und hat meine Scheinwerfer gesehen. Der Mistkerl ist mir gefolgt.
    Diese Erkenntnis bringt mich fast aus der Fassung, doch ich reiße mich zusammen und schiebe mich hinters Lenkrad. Während ich den Explorer in Position manövriere, um das Gitter zurück auf die Grube zu befördern, geht Tomasetti um die Grube herum. Ich muss schnell machen, bevor er beschließt, all dem Misstrauen, das in seinem Gesicht steht, nachzugeben und selbst in die Grube zu steigen.
    Ich fahre den Explorer ein Stück zurück und steige aus. Meine Hände zittern so schlimm, dass ich Probleme habe, das Seil wieder daran zu befestigen.
    »Sind Sie nervös, Chief?«
    »Mir ist nur kalt.«
    »Sie

Weitere Kostenlose Bücher